Ausgeliefert
Etwa 80 Prozent aller Produkte bewegen sich entlang globaler Wertschöpfungsketten. Sie bilden die Existenzgrundlage für mehr als 450 Millionen Menschen. Doch über diese sensiblen Verknüpfungen sprechen wir meistens erst, wenn sie gestört sind. Zeit, einen Blick auf eine faszinierende Welt zu werfen.
Die älteste Lieferkette?
Vor mehr als 300.000 Jahren fertigten Menschen im Olorgesailie-Becken im Süden Kenias statt primitiver Faustkeile zunehmend Spezialwerkzeuge aus Obsidian, einem vulkanischen Gesteinsglas. Dort fanden amerikanische Paläoanthropologen die Werkzeuge in größeren Mengen – und das, obwohl die Obsidianquellen bis zu 100 Kilometer entfernt sind, mit vielen Bergen dazwischen. Die Forscher schließen deshalb aus, dass die Hersteller der Werkzeuge pendelten, um sich ihren Rohstoff zu holen. Der Import verlief wahrscheinlich über eine Kette von Menschen, die an verschiedenen Orten lebten, vermutlich im Tausch gegen andere Waren. Die Obsidianfunde von Olorgesailie gelten deshalb als der weltweit älteste Beleg für Fernhandel und sind anderen Beispielen 80.000 bis 100.000 Jahre voraus.
Von lokal zu global
Vor 1900, sind Lieferketten hauptsächlich lokal und regional organisiert.
Anfang des 20. Jahrhunderts sorgen der Ausbau des Schienennetzes und der Dampfschifffahrt sowie die Verbreitung von Lkws dafür, dass Entfernungen schrumpfen. In der Logistik halten Paletten und Gabelstapler Einzug.
Mitte der 1950er-Jahre kommen die ersten Container zum Einsatz. Bald darauf werden sie standardisiert.
Mitte der 1960er-Jahre ziehen Computer in die Lagerhaltung ein. Das erste Echtzeit-Lagerverwaltungssystem kommt in den 1970er-Jahren, Strichcodes ersetzen die manuelle Eingabe von Produktnummern.
1983 wird der Begriff Supply Chain Management geprägt. PCs, Software wie die Tabellenkalkulation oder Routenplanung machen die Steuerung der Lieferkette immer effizienter.
In Zukunft werden Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen das Auftragsmanagement verbessern. Transparenz in Lieferketten wird zunehmend zum erfolgversprechenden Faktor.
Summende Experten
Bienen gelten als geborene Logistiker. Denn sie kommunizieren präzise und agieren im Schwarm intelligent. Ein Beispiel: Entdeckt eine Kundschafterbiene eine Futterstelle, gibt sie zurück im Stock mit einem speziellen Tanz den Sammlerbienen Bescheid. Sie kann damit die genaue Lage des Fundorts sowie die Qualität und Ergiebigkeit der Quelle mitteilen. So wird der effiziente Transport des Rohstoffes organisiert und damit das Überleben des Volkes gesichert.
Das Wunder des Bleistifts
„Niemand weiß, wie man einen Bleistift herstellt“: Mit diesem Satz brachte Milton Friedman die unsichtbare Komplexität hinter alltäglichen Produkten auf den Punkt. Der US-Nobelpreisträger erklärte schon in den 1980ern in seiner TV-Vorlesung sehr unterhaltsam, was Wirtschaft alles leistet, und zwar anhand eines Bleistifts. Um ihn herzustellen, muss in verschiedenen Weltregionen Grafit abgebaut, Kautschuk gewonnen und Holz gefällt werden. Um die Bäume zu fällen, braucht es Kettensägen, diese benötigen wiederum Stahl, der wird aus dem Hauptrohstoff Eisenerz produziert – und so weiter ... Kurzum: Schier unzählige Arbeitsschritte und tausende Menschen sind nötig, damit wir etwas vermeintlich Simples wie einen Bleistift in Händen halten können. Genau genommen ist er ein Meisterwerk globaler Kooperation.
Nadelöhre des Welthandels
Sechs bis zehn Milliarden Dollar Schaden am Tag für den Welthandel hat der Kreditversicherungsgruppe Allianz Trade zufolge die fast einwöchige Blockade des Suezkanals durch ein auf Grund gelaufenes Containerschiff verursacht. Bis zu 200 Schiffe stauten sich im März 2021 vor dem Kanal, Rohstoffe oder Halbleiter kamen nicht rechtzeitig ans Ziel. Noch extremer wären. die Folgen einer Blockade der Straße von Hormus. Durch die 50 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Persischen Golf und dem Golf von Oman werden etwa 30 Prozent des weltweit geförderten Erdöls aus Staaten wie Irak, Dubai und Kuwait verschifft. Dazu kommt ein Fünftel der weltweiten FlüssigerdgasLieferungen.
Die perfekte Kneipentour
Das Problem des Handlungsreisenden ist ein Klassiker der Logistik. Ein Mensch soll viele Orte bereisen und am Ende wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren. Dabei geht es darum, die kürzeste Reiseroute zu finden. Bereits bei zehn Städten sind potenziell 181.440 verschiedene Rundtouren möglich. Doch es geht noch weit extremer: Forschende der Cook University of Waterloo in Kanada haben 2018 die kürzeste Route bestimmt, um alle 49.687 Pubs von Großbritannien und Nordirland zu besuchen. Da angesichts dieser Zahl an Möglichkeiten diverse Algorithmen und Künstliche Intelligenz allein nicht ausreichten, war ein entscheidender Teil Handarbeit und mathematisches Herantasten. Ach ja: Die optimale Tour erstreckt sich etwa über 64.000 Kilometer.
Das Maß aller Dinge
Der 20-Fuß-Standardcontainer (TEU)
Wer an Lieferketten denkt, hat Container vor Augen. Zu Recht: Fast alle Handelsgüter fahren in Quadern um die Welt. Durch die Einheitsgrößen lassen sich Container einfach stapeln und Kapazitäten auf Schiffen perfekt ausnutzen. Um immer mehr Container zu immer niedrigeren Kosten transportieren zu können, sind Containerschiffe im Laufe der Zeit zu wahren Riesen angewachsen. Innerhalb von 50 Jahren hat sich ihr Ladevolumen verzehnfacht. Sie sind damit ein wichtiger Treiber des Welthandels.
Damit kein Container auf seinen Reisen verloren geht, hat jeder eine ganz eigene Kennung. Vergeben wird sie vom Bureau International des Containers et du Transport Intermodal.
Veröffentlicht am 05.11.2024, zuletzt aktualisiert am 12.11.2024.
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