Partner im Wandel

Seit mehr als zehn Jahren ist Endress+Hauser einer der Schlüssellieferanten für den Energiekonzern Shell, wenn es um Prozessmesstechnik geht. Warum sind lange Partnerschaften wie diese in Zeiten eines fundamentalen Wandels besonders wichtig? Ein Gespräch mit Harry Brekelmans, Mitglied des Executive Committee von Shell, und Endress+Hauser CEO Matthias Altendorf.

Fragen: Laurin Paschek und Martin Raab
Fotografie: Christoph Fein
Shell-Vorstand Harry Brekelmans mit Matthias Altendorf am Shell Hauptsitz in Den Haag

Herr Brekelmans, Shell will bis 2050 bilanziell klimaneutral werden und wird damit branchenweit zum Vorreiter. Was sind die Gründe für diesen radikalen Strategiewechsel?

Brekelmans: Ich arbeite seit mehr als 30 Jahren für Shell und habe in dieser Zeit das Unternehmen als sehr dynamisch erlebt. Für Shell ist Wandel kein neues Thema. Immer wieder haben wir uns neuen Geschäftsfeldern zugewandt, neue Technologien entwickelt und deren Finanzierbarkeit sichergestellt – zum Beispiel bei der Einführung von Biokraftstoffen oder der Exploration von Wasserstoff. Mit dieser Haltung sind wir zu einem der weltweit führenden Energiekonzerne geworden. Gleichwohl ist die Transformation hin zu einem bilanziell klimaneutralen Unternehmen bis 2050 eine sehr große Aufgabe. Wir gehen sie an, weil die Gesellschaft, unsere Stakeholder und unsere Kunden es so wollen. Und wir werden sie im ständigen Dialog mit diesen Interessengruppen ausgestalten.

Worin liegt die größte Herausforderung dieser Transformation?

Brekelmans: Da gibt es eine ganze Reihe an Herausforderungen. Eine wichtige Frage ist sicherlich das Timing. Verändert sich beispielsweise das Unternehmen zu schnell, dann könnten wir zum einen im Vergleich zu den Mitbewerbern wirtschaftliche Nachteile erleiden und im globalen Wettbewerb ins Hintertreffen geraten. Dann fehlt uns am Ende vielleicht die Ausdauer, um den Wandel erfolgreich zu Ende zu führen. Handeln wir auf der anderen Seite zu langsam, dann gefährdet das möglicherweise das eigentliche Ziel. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns, und genau deswegen wollen wir die Transformation im Einklang mit den Erwartungen der Gesellschaft und unserer Stakeholder vorantreiben.

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Gigatonnen CO2e beträgt aktuell der jährliche Kohlenstoff-Fußabdruck von Shell. Er soll bis 2050 auf netto null verringert werden.

Nachhaltigkeitsmission

Harry Brekelmans (Jahrgang 1965) ist Projects & Technology Director von Shell und Mitglied des Exekutivausschusses unter CEO Ben van Beurden. In dieser Rolle verantwortet er seit 2014 die Umsetzung der großen Öl- und Gasprojekte des Energiekonzerns, treibt technologische und kommerzielle Innovationen voran und führt die Bereiche Technik, Verträge und Beschaffung, IT sowie Sicherheit und Umwelt fachlich. Er absolvierte ein Studium an der Technischen Universität Delft und arbeitet seit 1990 für Shell. Über sich selbst sagt Harry Brekelmans: „Ich bin mir bewusst, wie wichtig es für die Industrie, die Regierungen und die Gesellschaft ist, die Ressourcen der Welt auf nachhaltige Weise optimal zu nutzen.“

Herr Altendorf, wenn Sie auf die Größe der Aufgabe blicken: Haben Sie einen vergleichbaren Wandel auch schon einmal erfahren?

Altendorf: Persönlich erinnere ich mich an die Einführung von Abgas-Katalysatoren in den Autos der 1970er- und 1980er-Jahre, um den sauren Regen zu bekämpfen. Hier hat der Gesetzgeber eine ganze Industrie dazu gebracht, sich auf Grundlage verfügbarer Technologie zu wandeln. Auch in der Endress+Hauser Gruppe hatten wir immer wieder Veränderungsprozesse. Ein gutes Beispiel ist die Transformation von einfachen, elektrischen Geräten über elektronische, von Mikroprozessoren gesteuerte Messtechnik hin zu softwaregesteuerten, rein digitalen Lösungen. Diesen Wandel konnten wir aber eigenständig gestalten. Mit den Herausforderungen der Energiewende ist das nicht zu vergleichen.

Die von Ihnen angesprochene Digitalisierung kann man aber durchaus als eine große Transformation sehen. Wie gelingt es, die dafür nötige Veränderungsbereitschaft zu mobilisieren?

Altendorf: Zunächst einmal brauchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter großer Unternehmen ein gemeinsames Verständnis davon, wie die Zukunft aussehen könnte. Und dann müssen alle gemeinsam diese Zukunft anpacken. Dafür müssen die Führungskräfte Ressourcen für Aufgaben bereitstellen, die dem Unternehmen im Hier und Jetzt noch nichts bringen, zum Beispiel das Entwickeln und Validieren von Zukunftsszenarien. Wenn die Unternehmen dann mehr wissen, können sie einen Schritt weiter gehen. Sie sollten aber immer mit einem Standbein im aktuellen Geschäftsmodell bleiben, um ihre Zukunft nicht zu gefährden. Die Menschen brauchen Sicherheit und Zuverlässigkeit in Zeiten des Wandels. Sie müssen wissen, dass sie ein Teil der Reise in die Zukunft sind.

Wie hat Shell seine Shareholder und Belegschaft von der neuen Strategie überzeugt?

Brekelmans: Ich denke, es geht vor allem darum, ganz logisch und nachvollziehbar vorzugehen. Wir versuchen ja schon seit jeher, die Welt um uns herum zu verstehen. Dafür hören wir auf das, was unsere Stakeholder uns sagen, wir entwerfen Szenarien und machen Studien. Auf dieser Grundlage erarbeiten Vorstand und Exekutivausschuss den Bezugsrahmen. Ein wichtiger Aspekt ist etwa, dass wir bei der Ausgestaltung der zukünftigen Energiewelt rückwärts von den Kundenbedürfnissen her denken müssen, anstatt vorwärts von den verfügbaren Ressourcen auszugehen. Wir müssen also fragen, welche Energieformen unsere Kunden in Zukunft bevorzugen, wenn sie zugleich mehr Klimaschutz wollen. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Erkenntnis, dass wir mehr und sauberere Energie benötigen, dass aber andererseits zur gleichen Zeit der weltweite Energiebedarf insgesamt weiter steigt.

Welche Technologien spielen in Ihrer Strategie eine besonders wichtige Rolle?

Brekelmans: Innovative Technologien wie Biokraftstoffe, Wasserstoff oder CO2-Abscheidung aus der Luft spielen eine wichtige Rolle in den meisten Szenarien. Ich würde aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine einzelne Technologie hervorheben. Entscheidend ist nicht die Technologie selbst, sondern deren Skalierbarkeit. Eine große Wegstrecke zu unserem Ziel der Netto-Null ließe sich mit bereits existierenden Technologien zurücklegen. Voraussetzung ist aber, die nötigen Skaleneffekte effektiv zu nutzen. In dieser Disziplin war Shell schon immer gut. Daran müssen wir weiter arbeiten.

„Wir haben eine sehr ähnliche Firmenkultur, die viel Wert auf Technologie und Innovation, auf Qualität und Verlässlichkeit legt.“

Harry Brekelmans,

Projects & Technology Director Shell

Shell-Vorstand Harry Brekelmans

Auf welche Weise können Geschäftspartner wie Endress+Hauser Sie dabei bestmöglich unterstützen?

Brekelmans: Das können unsere Partner tun, indem sie die innovativen Komponenten entwickeln, die wir für den Wandel brauchen, und diese in neue, komplexe Systeme integrieren. Auf diesem Feld hat Endress+Hauser eine breite Erfahrung und als langjähriger Lieferant ein sehr gutes Verständnis für unser Geschäft. Außerdem haben wir eine sehr ähnliche Firmenkultur, die viel Wert auf Technologie und Innovation, auf Qualität und Verlässlichkeit legt. Wir sehen Endress+Hauser deswegen als einen sehr wichtigen Partner in unserem bevorstehenden Transformationsprozess.

Altendorf: Nehmen wir als Beispiel einmal den Flugverkehr. Mit synthetischem Kerosin aus erneuerbaren Energien, wie Shell es unlängst in einer Pilotanlage produziert und für einen Flug von Amsterdam nach Madrid bereitgestellt hat, kann der Flugverkehr langfristig CO2-neutral versorgt werden. Um das klimafreundliche Kerosin möglichst effizient und kostengünstig zu produzieren, braucht es zuverlässige und präzise Messtechnik. Diese Messtechnik können wir schon heute liefern und im Zuge einer weiteren Skalierung gemeinsam mit Shell weiterentwickeln. Der direkte Austausch ist dabei von zentraler Bedeutung für die Innovation.

Könnte Endress+Hauser bei seiner Dekarbonisierungs-Strategie umgekehrt auch auf Produkte von Shell zurückgreifen?

Altendorf: Ich kann mir absolut vorstellen, dass Shell unser Unternehmen eines Tages mit grüner Energie versorgt – auch wenn wir in unserer Produktion keinen außerordentlich hohen Energiebedarf haben. Aber wir haben den Bedarf natürlich bei unseren Bürogebäuden und in unseren Lieferketten. An einigen Standorten erzeugen wir die von uns benötigte Energie derzeit selbst mithilfe von Erdgas. Diese Blockheizkraftwerke könnten wir in Zukunft auf synthetisches, klimaneutrales Erdgas oder auf grünen Wasserstoff umstellen, den wir von Shell beziehen könnten.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Wie setzen Sie sich in Ihrem Privatleben für mehr Klimaschutz ein?

Brekelmans: Meine Familie kennt die besondere Verantwortung, in der ich stehe. Mit meinen beiden Kindern und meiner Frau diskutiere ich sehr häufig über Energiewende und Klimaschutz. Wir achten darauf, möglichst wenig Treibhausgas-Emissionen zu verursachen, auch wenn wir hin und wieder noch ein Auto mit Verbrennungsmotor fahren. Wir nutzen Strom aus erneuerbaren Quellen und ernähren uns bewusst mit Blick auf die Klimafolgen. Innerhalb der kommenden Jahre haben wir für uns das Ziel gesetzt, CO2-negativ zu werden.

Altendorf: Ich führe solche Gespräche häufig mit meinem 24 Jahre alten Sohn. Ich fahre derzeit ein Hybridfahrzeug, mit dem ich rein elektrisch zur Arbeit pendeln kann, und nutze auf der Mittelstrecke häufig die Bahn. Außerdem haben wir unser Hausdach mit Solarzellen ausgestattet. Wenn es um meine Gesamtbilanz geht, dann habe ich den Vorteil, dass ich einige Hektar Wald besitze. Den hege und pflege ich selbst, und ich arbeite dort gerne. Das ist meine ganz persönliche Carbon-Capture-Strategie. Am Ende des Tages ist der Wald die natürlichste Art und Weise, um CO2 aus der Atmosphäre zu holen.

Energiegigant

Shell ist ein internationales Energieunternehmen mit Know-how in der Exploration, Produktion, Raffinerie und Vermarktung von Öl und Erdgas sowie in der Herstellung und Vermarktung von Chemikalien. Das Unternehmen mit Hauptsitz in London erzielte 2020 über 180 Milliarden US-Dollar Umsatz und zählte weltweit 87.000 Beschäftigte.

Shell-Vorstand Harry Brekelmans und Endress+Hauser CEO Matthias Altendorf im Gespräch.

Partner im Dialog: Harry Brekelmans und Matthias Altendorf am Shell-Sitz in Den Haag. 

​​​​​​​Klimastrategie

Bis 2050 möchte Shell emissionsfrei werden. Das Energieunternehmen will den Kohlenstoff-Fußabdruck von jährlich absolut 1,7 Gigatonnen CO2e auf netto null verringern – und dabei auch die Emissionen der Kunden einbeziehen, die aus Produkten von Shell entstehen (Scope 3). Die Energiewende-Strategie von Shell fußt auf drei Säulen:

  • Vermeiden: Shell möchte Kunden kohlenstoffarme Energielösungen anbieten, in sie investieren und sie weiter ausbauen.
  • Reduzieren: Emissionen will das Unternehmen so weit wie heute möglich verringern.
  • Mildern: Alle verbleibenden Emissionen will Shell auffangen oder kompensieren.

Meilensteine

Diese Ziele hat sich Shell bis 2030 gesetzt:

Betriebliche Effizienz betriebliche-effizienz
  • Routinemäßiges Abfackeln beenden
  • Methan-Emissionsintensität bis 2025 unter 0,2 % halten
Erneuerbare Energien erneuerbare-energien
  • Stromverkäufe verdoppeln
  • Über 50 Millionen Haushalte versorgen
  • 2,5 Millionen Ladepunkte für E-Autos
CO2-Abscheidung und -Speicherung co2-abscheidung-und-speicherung
  •  25 Megatonnen jährlich bis 2035
Erdgas erdgas
  • Ölproduktion um 1 – 2 % jährlich verringern
  • Anteil von Erdgas an Kohlenstoff-Produktion auf 55 % erhöhen
  • Keine neuen Explorationsprojekte nach 2025
Biokraftstoffe und Wasserstoff biokraftstoffe-und-wasserstoff
  • Produktion emissionsarmer Kraftastoffe verachtfachen
  • Anteil emissionsarmer Kraftstoffe auf über 10 % erhöhen
Natürliche CO2-Senken natürliche-co2-senken
  • Kapazität von 120 Megatonnen jährlich schaffen
  • Nur hochwertige Kompensationsprojekte