„Neues entsteht an den Schnittstellen“

Was ist nötig, damit Unternehmen langfristig Erfolg haben? Woran richten sie sich in ihrer Weiterentwicklung aus? Was ist der Schlüssel, um im Wandel erfolgreich zu bleiben? Dr. Ronald Gebhard, Vice President Biosciences and Process Innovation bei DSM, und Matthias Altendorf, CEO von Endress+Hauser, vertreten zwei ganz unterschiedliche Unternehmen. Und doch stoßen sie im Gespräch auf wichtige Gemeinsamkeiten.

Fragen: Laurin Paschek
Fotografie: Andreas Mader
Matthias Altendorf and Ronald Gebhard, DSM

Herr Gebhard, DSM hat sich innerhalb eines Jahrhunderts vom Bergbauunternehmen zum Global Leader in Gesundheit, Ernährung und Biowissenschaften gewandelt. Was war entscheidend, um diese Transformation erfolgreich zu gestalten?

Gebhard: Bei DSM verfolgen wir einen einfachen strategischen Ansatz, um uns im Prozess nicht zu verlieren. Erstens konzentrieren wir uns auf Verbrauchertrends und die globalen Herausforderungen und leiten daraus Marktchancen ab. Dazu gehören zum Beispiel veränderte Ernährungsgewohnheiten, das Bevölkerungswachstum oder der Klimawandel. Zweitens prüfen wir, wie wir den Wandel in Innovationen umsetzen können und ob wir dafür neue wissenschaftliche und technologische Fähigkeiten benötigen. Neue Ideen entstehen oft an den Schnittstellen von Disziplinen und Unternehmen.

 

Gibt es Kernelemente, die sich DSM über die Zeit bewahrt hat und die vielleicht auch wichtig waren, um diese Entwicklung erfolgreich zu meistern?

Gebhard: Der wichtigste Erfolgsfaktor ist aus meiner Sicht, dass wir unser Vertrauen in die Kraft der Wissenschaft und der Innovation nie verloren haben. Gerade auch dann, wenn wir nicht erfolgreich waren. Wir sind nach wie vor überzeugt: Angesichts der Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft steht, wird unsere Innovationskraft zu den Lösungen führen, die wir benötigen. Akquisitionen waren ein wichtiger Teil unserer Evolution. Die neuen Teammitglieder haben unser Fachwissen erweitert und unsere Unternehmenskultur verbessert. Die Teams sind vielfältiger geworden, und unsere Werte haben sich mit der Zeit weiterentwickelt. Ein Beispiel: In meinem Managementteam für Prozessinnovationen sind jetzt sechs verschiedene Nationalitäten vertreten. Meiner persönlichen Erfahrung nach können vielfältige Teams mit starken gemeinsamen Werten große Kreativität und Innovationskraft freisetzen.

„Uns ist langfristiges Wachstum wichtiger als kurzfristiger Profit. Denn um Neues aufzubauen, das robust und beständig ist – dafür braucht es Zeit.“

Matthias Altendorf

CEO der Endress+Hauser Gruppe

Matthias Altendorf

Herr Altendorf, Endress+Hauser hat sich innerhalb der Prozessmesstechnik in 70 Jahren sehr erfolgreich entwickelt. Was brauchen Unternehmen, um sich über Jahrzehnte am Markt zu behaupten? Was hilft Endress+Hauser, immer wieder erfolgreich zu sein?

Altendorf: Ein wesentlicher Punkt ist die Nähe zu den Kunden. Wir verstehen, wohin die Reise unserer Kunden geht. Wenn bei DSM die Auseinandersetzung mit den Megatrends zu neuen Produktideen führt, dann müssen diese Ideen irgendwann in verfahrenstechnische Prozesse übersetzt werden. Da kommen wir ins Spiel. Wir sehen die Herausforderungen unserer Kunden und können ihnen mit unserer eigenen Innovationskraft dabei helfen, voranzukommen. Ein anderer Punkt ist, dass wir wie DSM sehr menschenzentriert sind. Der Mensch macht den Unterschied. Es sind die Menschen, die das Beste aus einer Umgebung, aus einem System herausholen. Dieser Ansatz ist eine gute Basis für langfristigen Erfolg und tief verankert bei Endress+Hauser. Er passt zu uns als Familienunternehmen: Eine Familie steht füreinander ein, nimmt Verantwortung füreinander wahr und denkt über Generationen hinweg. Der dritte Punkt ist die Wandlungsfähigkeit und Offenheit. Offenheit gewährt Zugang zu Dingen, die einem sonst verwehrt bleiben. In vielfältigen, diversen Teams schaffen wir Dinge, die besser sind als das Bisherige.

 

Was sind die größten Herausforderungen, vor denen Endress+Hauser derzeit steht? Was muss gelingen, damit das Unternehmen eine gute Zukunft hat?

Altendorf: Wir müssen die Wirtschaft so aufstellen, dass sie möglichst wenig Ressourcen verbraucht. Diese Herausforderung haben wir als Unternehmen, und diese Herausforderung haben unsere Kunden. Mit unserer Messtechnik können wir unseren Kunden helfen, ihren ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Wir bieten hier einen starken Hebel an. Außerdem müssen wir als Unternehmen attraktiv bleiben, so dass Kunden, Mitarbeitende und externe Partner weiter mit und für uns arbeiten wollen. Und zwar im Sinne einer Kollaboration: Wir arbeiten gemeinsam an einem Ziel, das wir nur gemeinsam erreichen können. Schließlich müssen wir weiter nahe an unseren Kunden bleiben, in der physischen und in der virtuellen Welt, um neue Herausforderungen in der Verfahrenstechnik zu antizipieren.

Gebhard: Nachhaltigkeit treibt uns beide an! Die hochpräzise und zuverlässige Messtechnik von Endress+Hauser spielt eine zentrale Rolle, um die Effizienz unserer chemischen und biotechnologischen Prozesse zu steigern. Messen bedeutet Wissen. Messen erzeugt Daten, die wir brauchen, um unsere Produktion zu verbessern. Digitale Zwillinge, mit denen wir die Anlage im Labor nachbilden, sind ein schönes Beispiel dafür.

„Messen bedeutet Wissen. Messen erzeugt Daten, die Prozessinnovationen ermöglichen und unsere Produktion verbessern.“

Dr. Ronald Gebhard

Vice President Biosciences and Process Innovation bei DSM

Ronald Gebhard, DSM
INNOVATIONSGEIST

Dr. Ronald Gebhard ist Vice President Biosciences and Process Innovation bei DSM. Er studierte Chemie an der Universität Leiden in den Niederlanden und promovierte in organischer Chemie. Nach zehn Jahren beim niederländischen Pharmaunternehmen NV Organon kam er 2002 zu DSM. Seit 2010 ist er in der Schweiz ansässig, wo er derzeit alle Forschungsprojekte im Bereich Prozesse sowie die Kompetenzen von DSM in den Bereichen Chemie und Analyse, synthetische Biologie und Formulierung verantwortet.

Was sind für DSM die wichtigsten Treiber des Geschäfts?

Gebhard: Die Haupttreiber sind die Herausforderungen des globalen Ernährungssystems. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Wir können es uns nicht länger leisten, unsere Meere zu überfischen. Wussten Sie, dass man für ein Kilogramm Zuchtlachs vier bis sechs Kilogramm Fisch braucht? Es ist höchste Zeit für einen völlig neuen Ansatz in der Nahrungskette. DSM hat die Fähigkeiten, etwas zu verändern. Und wir sehen dies als unsere Verantwortung an. Wir betreiben mit Evonik das Joint Venture Veramaris für Omega-3-Fettsäuren aus natürlichen Meeresalgen. Dadurch können wir aus Zucker Omega-3-Fettsäuren für die Fütterung von Zuchtlachs herstellen, ohne dass Fischöl aus Wildfängen benötigt wird.

Altendorf: Solche Ansätze sind wichtig, weil wir eine wachsende und alternde Weltbevölkerung ernähren und versorgen müssen. In der bisherigen Skalierung wird das nicht funktionieren. Ein Weg ist daher, die Methode zu ändern, wie wir Proteine herstellen. Ein anderer Weg ist die Verbesserung der Ernährungsqualität durch Personalisierung. Wenn sich die Menschen nach ihren individuellen Bedürfnissen ernähren, bleiben sie gesünder. Gleichzeitig steigt die Effizienz in der Nahrungsmittelproduktion.

 

Welche Rolle spielen dabei Prozessinnovationen?

Gebhard: Chemische oder biotechnologische Prozesse verwandeln kleine Moleküle in gewünschte Moleküle. Prozessinnovationen zielen darauf ab, diese Umwandlung effizienter zu gestalten und die Verluste zu minimieren. Wir können mehr und mehr entscheiden, ob wir einen chemischen Prozess wählen, den biologischen Weg einschlagen, beides miteinander kombinieren oder erneuerbare Rohstoffe verwenden. Das Ziel dabei ist, möglichst viel Rohstoff in ein Produkt umzuwandeln und dabei möglichst wenig Energie und Ressourcen zu verbrauchen. An dieser Stelle kommt die Technologie von Endress+Hauser ins Spiel, die einen Echtzeit-Einblick in diese Prozesse ermöglicht.

 

Wie genau kann Endress+Hauser DSM hierbei unterstützen?

Altendorf: Wir schauen gemeinsam mit unseren Kunden, wie wir verfahrenstechnische Prozesse möglichst energieund ressourceneffizient gestalten und am Ende des Tages diese Prozesse in einen Kreislauf führen. Je präziser, robuster und vernetzter die Messtechnik ist, umso besser gelingt dies. Gleichzeitig steigern wir mit unseren Messgeräten die Sicherheit der Anlagen. Beim Thema Effizienz lassen wir außerdem unsere eigenen Geräte nicht außer Acht. Früher haben Endress+Hauser Messgeräte durchschnittlich ungefähr ein bis drei Watt an elektrischer Leistung benötigt. Heute verbrauchen die Geräte der neuesten Generation 30 Milliwatt. Schließlich spielen auch neue Mess- und Analyseverfahren eine wichtige Rolle. Aber für deren Entwicklung braucht man einen langen Atem. Um ein Messprinzip zur Serienreife zu entwickeln, dauert es im Schnitt zehn Jahre. Da hilft uns, dass wir ein Familienunternehmen sind, das langfristig plant und investiert.

Matthias Altendorf and Ronald Gebhard, DSM

DSM ist ein strategischer Account von Endress+Hauser und Endress+Hauser ist Teil des Key-Supplier-Programms von DSM. Was ist der Wert solcher Partnerschaften?

Gebhard: Die strategischen Lieferantenbeziehungen werden bei DSM vom Bereich Beschaffung gesteuert, unter der Leitung von William Davis, unserem Direktor für den Einkauf technischer Güter und Dienstleistungen. Er erzählte mir, dass wir 12.000 Lieferanten hatten, als wir unser Key-Supplier-Programm starteten. Wir wählten etwa 200 aus und luden sie ein, um einen intensiveren Dialog über eine engere Beziehung zu führen. Wir wussten, dass wir nicht der größte Kunde von Endress+Hauser sind und sie nicht unser größter Lieferant, aber wir beide sahen strategisches Potenzial und gemeinsame Ziele für einen besseren Planeten. Herrn Altendorfs Beispiel des Messgeräts zeigt das: Wenn wir ein Feldgerät betreiben, dann verbraucht es unsere Energie. Und wenn Endress+Hauser den Energieverbrauch auf einen Bruchteil reduziert, dann sind sie auf einer Wellenlänge mit uns. Sie schauen nicht auf das nächste Quartalsergebnis mit dem Ziel, möglichst viele Geräte zu verkaufen. Sie denken an ihre Kunden, deren Kosten und deren ökologischen Fußabdruck, also an uns. Vorausschauend denken, gemeinsame Visionen und Werte teilen: So werden Ökosysteme gleichgesinnter Unternehmen künftig die größten Herausforderungen unserer Zeit meistern!

Altendorf: Wenn wir einen Kunden zum strategischen Account machen, dann heißt das, wir wollen auch sein Geschäft und seine Bedürfnisse verstehen. Ich denke, dass uns das bei DSM gelungen ist. Dabei ist uns langfristiges Wachstum wichtiger als kurzfristiger Profit. Denn um Neues aufzubauen, das robust und beständig ist – dafür braucht es Zeit.