„Die Familie steht für Stabilität und langfristiges Denken“
Klaus Endress, der als CEO und Verwaltungsratspräsident Endress+Hauser über Jahrzehnte geprägt hat, geht in den Ruhestand. Fortan vertreten Steven Endress und Sandra Genge die Gesellschafterfamilie im Verwaltungsrat. Im Interview spricht das Trio über stabile Werte, unternehmerische Verantwortung und gemeinsame Weihnachtsfeiern.
Als Mitglieder der Familie Endress – welche Stichworte fallen Ihnen als Erstes ein, wenn Sie Endress+Hauser hören?
Steven Endress: Auf drei Begriffe gebracht, würde ich sagen: Leidenschaft, Leistung und Stolz.
Klaus Endress: Ein tolles Unternehmen, für das man gerne arbeitet und mit dem man gerne zusammenarbeitet – das ist jedenfalls, was ich von außen höre (lacht).
Sandra Genge: Zuallererst bin ich stolz, ein Teil der Familie zu sein, die es in zwei Generationen geschafft hat, dieses großartige Unternehmen aufzubauen. Egal, ob man mit jungen Auszubildenden oder einem Mitglied der Geschäftsleitung spricht: Das Engagement ist überall spürbar. Das ist einzigartig. Dies fasziniert und motiviert mich.
Sandra Genge und Steven Endress, Sie vertreten die Familie nun im Verwaltungsrat, aus dem sich Klaus Endress zurückzieht. Die Endress+Hauser Kultur in die Welt zu tragen – ist das Ihr Auftrag in diesem Gremium?
Steven Endress: Auf jeden Fall. Das geschieht bereits heute jeden Tag: Wir sprechen über unsere Kultur und die Marke Endress+Hauser, mit dem Ziel, Mitarbeitenden weltweit die Werte zu vermitteln.
Sandra Genge: Wir wollen die Kultur vorleben, einerseits als Familie Endress gegenüber Mitarbeitenden und Kunden, aber auch innerhalb unserer eigenen Familien, im Hinblick auf unsere Kinder und die künftigen Generationen – so wie wir das selbst auch im Elternhaus erlebt haben.
Klaus Endress: Egal, ob wir unsere Kultur in der Familie, gegenüber Mitarbeitenden oder Kunden vorleben: Das funktioniert nur, wenn wir auch glaubwürdig sind. Ich muss überzeugt davon sein, das Richtige zu tun, dann kann ich das auch glaubhaft vertreten. Wir sprechen nicht nur darüber, sondern handeln auch nach diesen Grundsätzen. So kann ich die Menschen um mich herum für unsere Werte, unsere Kultur begeistern. Und diese wiederum Menschen in ihrem Umfeld. So trägt sich das Verständnis unserer Kultur in alle Bereiche des Unternehmens weiter.
Ist dieses kulturelle Fundament heute ausreichend verankert, dass es uns gut in die Zukunft trägt?
Sandra Genge: Ich glaube, dass wir eine sehr gute Basis geschaffen haben – auf Unternehmensseite mit dem Spirit, der die Kultur in Worte fasst, oder der Skulptur „Loyalty and Responsibility“, die sie visualisiert. Aufseiten der Familie haben wir seit 2006 die Charta, in welcher wir uns als Familie gemeinsame Ziele und Werte auferlegen. In Zukunft wird wichtig sein, dass wir dieses Fundament weiterhin fördern und pflegen. Ich bin fest überzeugt, dass es unsere Unternehmenswerte und unsere Kultur sind, die Endress+Hauser so einzigartig und nachhaltig erfolgreich machen.
Herr Endress, teilen Sie den Eindruck, dass die Kultur, die Sie und Ihr Vater etabliert und gepflegt haben, nun auch in der neuen Generation auf fruchtbaren Boden fällt?
Klaus Endress: Ja, darauf bin ich sehr stolz. Wir tun viel dafür, dass der Spirit in den Köpfen der Familie weiterlebt. Und dies soll auch in Zukunft so sein. Der Zusammenhalt in der Familie, aber auch im Unternehmen ist das Wichtigste. Daran muss man hart arbeiten, Tag für Tag, und niemals aufhören. Wenn ich heute ins Unternehmen gehe, mit den Menschen rede, dann spüre und erlebe ich ein unglaubliches Wir-Gefühl.
Steven Endress: Die DNA des Unternehmens ist zwar die Technologie. Aber die Art und Weise, wie alles zusammenspielt, beruht auf Emotionen, hohem Engagement und der Leidenschaft der Menschen, die das Unternehmen zum Laufen bringen.
Sandra Genge: Es ist unbestritten, dass die starke Unternehmenskultur bei Endress+Hauser zum Erfolg der Vergangenheit beitrug. So etwas fällt ja nicht einfach vom Himmel. Diese Kultur wurde von der ersten Generation gepflanzt und von der zweiten Generation weiterentwickelt und gepflegt. Und das wird auch in Zukunft so sein. Für uns als Familienmitglieder gehört das zu unseren Hauptaufgaben.
Die vier Markenwerte von Endress+Hauser sind Einsatz, Exzellenz, Freundlichkeit und Nachhaltigkeit. Sind diese für immer in Stein gemeißelt – oder auch einem gesellschaftlichen Wandel unterworfen?
Klaus Endress: Die Werte sind gut. Sie sind Teil des Spirits und verankert in unserer Familiencharta. Und man kann sie sich leicht merken – selbst Menschen, die noch nie davon gehört haben, verstehen das, ohne weitere Erklärung. Für Mitarbeitende ist es eine gute Vorgabe, wie man sich zu verhalten hat.
Sandra Genge: Wie viel Bestand diese Werte bei Endress+ Hauser haben, zeigt, wie bedacht sie gewählt wurden und welche Qualität sie haben. Ich habe mich auch gefragt, ob die Werte heute noch passend sind – das ist eine spannende Frage. Über Nachhaltigkeit muss man nicht diskutieren, über Exzellenz auch nicht – es ist wichtig, herausragende Produkte zu liefern. Ich denke, auch Freundlichkeit und Einsatz könnten moderner und zeitgemässer gar nicht sein, mit Blick auf die Kunden wie auch auf die Mitarbeitenden. Wir sprechen viel über Fachkräftemangel und darüber, wie man die junge Generation begeistert. Hier können diese beiden Werte viel bewirken.
Steven Endress: Die Werte sind unsere Ankerpunkte, auf denen unsere Kultur aufbaut. Aber die Kultur selbst, die Art und Weise, wie man Dinge macht, entwickelt sich weiter. Insbesondere Freundlichkeit ist ein Wert, der in anderen Unternehmen nicht betont wird. Als Familienunternehmen glauben wir daran! Wir kümmern uns umeinander, unterstützen uns gegenseitig, und diese Fürsorge erreicht auch die Kunden.
Sandra Genge: Gleichzeitig ist es wichtig, mit der Zeit zu gehen und bei Bedarf flexibel zu agieren und zu reagieren. Auch unsere Charta muss ein lebendes Werk sein, sie muss gelebt werden.
Endress+Hauser ist ein Familienunternehmen sind. Wird das in der Welt als besonders wahrgenommen?
Steven Endress: Ein Familienunternehmen zu sein, bedeutet für mich Stabilität und langfristiges Denken. Andere Unternehmen handeln in bestimmten Situationen zu schnell und lassen das Wichtigste außer Acht – die Menschen. Wenn wir sagen, dass die Menschen im Unternehmen das Wichtigste sind, dann meinen wir das auch so. Das ist das Stärkste, was wir als Familienunternehmen erreichen können. Die Art und Weise zum Beispiel, wie wir mit Covid umgegangen sind, war ganz anders als bei börsennotierten Unternehmen.
Sandra Genge: Ein Familienunternehmen kann in Generationen denken und nicht in Quartalen, wie das oftmals gemacht wird. Das gibt unserer Führung viel unternehmerische Freiheit.
Klaus Endress: Ich bin überzeugt, dass Familienunternehmen – die guten jedenfalls – erfolgreicher sind als Unternehmen, die an der Börse gehandelt werden. Da die Familie dauerhaft am Erfolg beteiligt ist, ist sie daran interessiert, das Unternehmen langfristig weiterzuentwickeln. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr und sind auch in schlechten Zeiten zuversichtlich. Die Arbeitnehmenden wissen, dass sie eine sichere, gute Arbeit haben. Wenn die Arbeit Freude macht, dann macht man diese auch gut.
„Ein Familienunternehmen kann in Generationen denken und nicht in Quartalen. Das gibt uns viel unternehmerische Freiheit.“
Sandra Genge
Mitglied des Verwaltungsrats
Die Familie Endress zählt heute über 75 Mitglieder. Wird es schwieriger, den Zusammenhalt sicherzustellen?
Sandra Genge: Heute ist die Familie natürlich viel größer. Doch früher gab es keine Charta, welche die Regeln für die Familienmitglieder festschreibt. Wir haben uns spontan getroffen. Die Weihnachtsfeier im Haus meiner Großeltern war ein Pflichttermin. Die gibt es noch heute, wie auch rund sechs weitere Veranstaltungen im Jahr. Das Schöne ist, dass wirklich viele kommen, auch aus Kanada, Frankreich oder England. Wir leben die Charta tatsächlich. Auch die dritte und die vierte Generation versteht sich sehr gut untereinander, einige verbringen regelmäßig gemeinsam ihre Ferien.
Von der dritten Generation war nur Steven Endress im operativen Geschäft tätig. Hatten Sie sich da mehr erhofft?
Klaus Endress: Klar ist es großartig, wenn jemand aus der Familie Endress ins Unternehmen eintritt. Aber jemand von der Familie muss dasselbe mitbringen, was auch alle anderen Kandidaten mitbringen müssen. Zu Beginn waren die Vorgaben für Mitglieder der Familie zu restriktiv. Eine Mitarbeit war nur auf Leitungsebene möglich. Im Rückblick würde ich meinen, das war zu eng und mit zu hohen Anforderungen verbunden. Inzwischen ist die dritte Version der Charta in Kraft, und Mitglieder der Familie können auf allen Ebenen im Unternehmen mitarbeiten und sich weiterentwickeln, so wie Nicht-Familienmitglieder auch. Es gibt als Endress weder einen Bonus noch einen Malus. Aber für die Mitglieder der dritten Generation kam diese Öffnung etwas zu spät, sie haben andere Richtungen eingeschlagen.
Sandra Genge: In unserer Generation standen viele schon im Berufsleben, als die Charta 2006 wirksam wurde. Ich bin aber zuversichtlich, dass das Interesse groß ist bei der jungen Generation.
Steven Endress: Eine Herausforderung ist, dass die heutige Dimension des Unternehmens fast schon einschüchternd wirkt. Sandra und ich hatten das Glück, dass wir Eltern hatten, die im Unternehmen gearbeitet haben. Das Geschäft war für uns immer nahe. Aus der Distanz ist es schwieriger, das Unternehmen zu verstehen. Mit Anlässen wie dem Familientag versuchen wir, diese Distanz zu überwinden. Meiner Meinung nach wird diese Arbeit jetzt Früchte tragen. Wenn wir Freude an der Sache haben, miteinander auskommen und die Verantwortung annehmen, wird auch das Unternehmen davon profitieren. Denn eine starke Familie bedeutet auch ein starkes Unternehmen.
„Wenn wir die Verantwortung annehmen, wird das Unternehmen profitieren. Eine starke Familie bedeutet auch ein starkes Unternehmen.“
Steven Endress
Mitglied des Verwaltungsrats
Welche Themen sehen Sie in Zukunft als Ihre Aufgaben im Verwaltungsrat?
Sandra Genge: Ganz komprimiert, ist es unsere Aufgabe, die Interessen der Familie zu vertreten und sicherzustellen, dass Endress+Hauser weiterhin ein erfolgreiches Familienunternehmen bleibt. Wir bringen die Sicht der Familie ein und vertreten Kultur und Werte.
Klaus Endress: Wichtig ist, dass man schaut, dass Entscheidungen zum Wohle des Unternehmens gefällt werden, das habe ich auch immer gemacht – ich war nie ein Lobbyist. Wenn die Entscheidungen nicht richtig sind, trifft es zum einen das Unternehmen, zum anderen aber auch die Familie.
Wie schätzen Sie das geschäftliche Umfeld für Endress+ Hauser ein?
Klaus Endress: Vieles in der Welt ist nicht okay. Gleichzeitig kommen viele neue Technologien auf – denken Sie an KI. Die Menschen haben Angst und wollen Sicherheit haben, dass es weitergeht. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Wenn man Angst hat, denkt man über alles Mögliche nach, aber nicht über die Arbeit, die man auch erledigen sollte. Dann sind wir wieder bei der Kultur. Den Umgang zu pflegen zwischen Kunden, Mitarbeitenden und Gesellschaftern, ist das, was es ausmacht. Wenn wir aufeinander achtgeben, kommen wir aus jeder Situation heraus, davon bin ich überzeugt.
Steven Endress: Ich denke, eine unserer Hauptstärken ist die Diversifizierung – in unserem Produktportfolio, aber auch mit Dienstleistungen und Lösungen. Dadurch sind wir in einer extrem starken Position. Der Blick in die Geschichte zeigt uns, dass das wahre Wachstum von Endress+Hauser aus schwierigen Zeiten kommt. Denn wir lassen die Menschen nicht gehen, und das bedeutet Kontinuität. Wir folgen unserem Kompass und verhalten uns konsequent, egal, wie schlecht das Wetter wird.
Sandra Genge: Diese Resilienz, die das Unternehmen schon mehrfach unter Beweis gestellt hat, gründet auf verschiedenen Faktoren, darunter auch auf Diversität oder der Kultur. Obschon die Zeiten herausfordernd sind, sehe ich viele Möglichkeiten für das Unternehmen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Nachhaltigkeit: Wo viel gemessen und achtsam mit Ressourcen umgegangen wird, sehe ich sehr viel Potenzial für unsere Zukunft.
Zum Schluss: Klaus Endress, haben Sie einen Rat für Sandra Genge und Steven Endress?
Klaus Endress: Keinen Rat und erst recht keine Rat-Schläge (lacht). Aber wenn sie mich danach fragen, werde ich beide mit Rat und Tat gern unterstützen.
Sandra Genge, Steven Endress – was nehmen Sie mit von Klaus Endress?
Steven Endress: Die größte Lektion ist die Verantwortung. Kürzlich waren wir an einer familiären Veranstaltung, und ich bemerkte, dass es wirklich schön sei, dass es solche Zusammenkünfte gebe. Klaus antwortete, ja, aber jemand müsse sich dafür einsetzen, dass sie zustande kämen. Dahinter stecke viel Arbeit. Klaus lebt durch Handeln, und er geht mit gutem Beispiel voran. Wenn wir uns dies zum Vorbild nehmen und die Verantwortung übernehmen, dann werden wir erfolgreich sein.
Sandra Genge: Ich habe grossen Respekt davor, was mein Onkel für das Unternehmen, aber auch für die Familie tat und immer noch tut. Dabei hat er stets das grosse Ganze im Blick und handelt nie eigennützig. Das habe ich immer sehr bewundert, und es inspiriert mich, auch mich einzubringen.
Erfahren Sie mehr zum Wandel bei Endress+Hauser:
GenerationswechselVeröffentlicht am 19.12.2023.
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