Zusammen stark

Eine schwache Konjunktur, globale Krisen, politische Spannungen: Verwaltungsratspräsident Matthias Altendorf und CEO Peter Selders sprechen über den Weg von Endress+Hauser durch turbulente Zeiten. Und darüber, warum Kooperation das Unternehmen widerstandsfähiger macht.

Fragen: Martin Raab
Fotografie: Andreas Mader
Matthias Altendorf and Peter Selders talk about Endress+Hauser’s path through turbulent times.

Herr Selders, das wirtschaftliche Umfeld war 2024 alles andere als einfach. Wie ungemütlich war Ihr erstes Jahr als CEO?

Selders: Ungemütlich würde ich es nicht nennen – aber es war sicher sehr intensiv. Die verhaltene Entwicklung des Geschäfts hat das ganze Jahr viel Aufmerksamkeit verlangt. Daneben hat uns die strategische Partnerschaft mit SICK stark beschäftigt. Aber wir haben beides gut hinbekommen, und ich sage bewusst „wir“, weil an diesem Ergebnis alle – unsere Mitarbeitenden, das Management der Gruppe und meine Kollegen im Executive Board – beteiligt waren.

Altendorf: Die Menschen bei Endress+Hauser können stolz sein auf diese Leistung. Unter den gegebenen Umständen haben wir viel erreicht. Aber natürlich hätten wir uns in einigen Märkten mehr gewünscht.

Wie war das Jahr denn für Endress+Hauser?

Selders: Als Gruppe haben wir unterm Strich ein Wachstum von weniger als einem Prozent erzielt. Ausgerechnet unsere drei größten Märkte – die USA, China und Deutschland – haben sich schwach entwickelt, jeweils aus unterschiedlichen Gründen. Das konnten unsere kleinen und mittleren Vertriebsgesellschaften aber ausgleichen. Insgesamt haben wir unsere Kosten gut im Griff behalten, trotz weltweit 500 neuer Stellen, und obwohl wir so viel investiert haben wie noch nie. Dennoch konnten wir den Gewinn nach Steuern auf hohem Niveau stabil halten. Es war ein schwieriges Jahr – aber es war kein Krisenjahr. Und um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Auf der einen Seite hätte ich mir natürlich einen ruhigeren Start als CEO gewünscht. Auf der anderen Seite hat mir dieses intensive Jahr die Gelegenheit gegeben, sehr schnell in die Themen hineinzufinden.
 

Wie schnell und wie gut haben Sie sich in Ihren neuen Rollen eingefunden – Herr Selders als CEO, Herr Altendorf als Verwaltungsratspräsident?

Selders: Diese Frage müssten Sie eigentlich den Menschen um uns herum stellen. Für mich war es jedenfalls auch ein Jahr des Lernens. So, wie in den 20 Jahren davor, lerne ich jeden Tag dazu, auch als CEO. Ich habe mir neben den operativen Aufgaben die Zeit genommen, unser Geschäft und die Firmengruppe besser kennenzulernen. Ich bin viel gereist. Überall auf der Welt habe ich Kunden besucht und unsere Standorte. Klar, ich musste von Anfang an große Themen angehen. Aber ich bin ja nicht auf mich allein gestellt. Ich habe das Executive Board und das Management der Gruppe an meiner Seite, und ich habe die Unterstützung des Verwaltungsrats und der Familie. Das alles hat mir, neben meiner persönlichen Vorbereitung, geholfen, in meiner neuen Rolle anzukommen. 

Altendorf: Es braucht immer Zeit, um mit so einer neuen Rolle zurechtzukommen – vor allem, wenn man direkt von einer Rolle in die andere wechselt. Und es braucht auch Zeit, um in der neuen Rolle neu wahrgenommen zu werden. Alles in allem finde ich, haben wir das im ersten Jahr gut hinbekommen. Herr Selders war von Tag eins wirksam und hat es gut gemacht als CEO der Gruppe. Er hat die Führung übernommen und eigene Akzente gesetzt, so dass ich operativ gut loslassen konnte. Und wahrscheinlich nehmen die Menschen,
die mit mir oft zu tun haben, ebenfalls Veränderungen wahr, denn ich lebe und interpretiere meine neue Rolle als Präsident des Verwaltungsrats sicherlich anders als mein Vorgänger Klaus Endress. Es ist, wie Herr Selders gesagt hat: Wir lernen voneinander und verbessern uns – das gilt für uns und unser Umfeld. Aber am Ende des Tages geht es gar nicht so sehr um uns, sondern um unsere Mitarbeitenden, unsere Kunden und unsere Eigentümer, denen wir verpflichtet sind.

„Wir dürfen stolz auf das Erreichte sein – aber nie zufrieden, denn wir stehen immer im Wettbewerb.“

Matthias Altendorf

Präsident des Verwaltungsrats der Endress+Hauser Gruppe

Wie geht die Familie mit den Veränderungen und auch mit dem Generationswechsel um?

Altendorf: Die Veränderungen an der Spitze der Firmengruppe wie auch im Verwaltungsrat waren – wie bei Endress+Hauser üblich – von langer Hand vorbereitet und mit allen Seiten gut abgestimmt. Wir haben Menschen in neuen Rollen und mit anderen Verantwortlichkeiten, da muss man sich neu begegnen und kennenlernen. Es gibt weiter viele Berührungspunkte und viel Austausch.

Wie ist die Gesellschafterfamilie heute eingebunden?

Altendorf: Zwei Mitglieder der dritten Generation, Sandra Genge und Steven Endress, vertreten die Familie im Verwaltungsrat und sind als Botschafter der Familie sichtbar. Herr Selders und ich tauschen uns regelmäßig mit Klaus Endress, der weiterhin Vorsitzender des Familienrates ist, und den anderen Eigentümern aus. Sarah Endress, eine weitere Enkelin unseres Firmengründers, wird ebenfalls vermehrt als Familienbotschafterin auftreten. Und wir arbeiten daran, dass sich auf lange Sicht noch mehr Familienmitglieder im Unternehmen engagieren. Wir stellen sicher, dass die Eigentümer regelmäßig über die Entwicklung des Unternehmens informiert werden. Und natürlich haben wir unsere Institutionen wie die Gesellschafterversammlung oder die Familien-Generalversammlung, die Unternehmen und Familie miteinander verbinden. Die Familie wirkt über ihre Nähe und ihre Sichtbarkeit, ihre Verbundenheit und Zugehörigkeit zum Unternehmen. Und sie wirkt über die Wahl der Menschen, denen sie die Führung der Firmengruppe anvertraut. So stellt die Familie sicher, dass die Werte und die Kultur, die ihr wichtig sind, im Unternehmen weiter gelebt werden.

Im Unternehmen verwurzelt

Matthias Altendorf (57) hat seine Karriere bei Endress+Hauser mit einer Ausbildung zum Mechaniker begonnen, an die sich Studium, Auslandsaufenthalt und Weiterbildung anschlossen. 2009 wurde er ins Executive Board berufen, 2014 übernahm er die Leitung der Firmengruppe als CEO. Seit 2024 ist er Präsident des Verwaltungsrats von Endress+Hauser und begleitet in dieser Funktion auch den Generationswechsel in der Familie. Daneben sitzt Matthias Altendorf in weiteren Aufsichtsgremien, ist in der Beratung und der Lehre tätig. Ausgleich findet er beim Segeln, im Schachspiel, auf dem Motorrad und bei der Waldarbeit. Reisen, Kunst und Lesen sind weitere Hobbys. Matthias Altendorf ist verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes.

Peter Selders, CEO of the Endress+Hauser Group

Warum ist das so wichtig?

Altendorf: Die Familie bringt Werte, Wärme und Wissen ein – sowie Kapital. Sie prägt unsere Kultur und sorgt für Stabilität. Gerade in diesen Zeiten sind Sicherheit, Verlässlichkeit und Zusammenhalt wichtig. Sie sind ein langfristiger Erfolgsfaktor.

In der Welt um uns herum sehen wir gerade gewaltige Umbrüche. Die Krisen und Konflikte scheinen nicht abzureißen. Was bedeutet dieses Umfeld für Endress+Hauser?

Selders: Wir erleben eine Welt, die aus den Angeln geraten scheint. Kriege, Extremismus, Migrationsströme, Protektionismus, Klimawandel: All das und noch mehr stürmt geballt und zeitgleich auf uns ein. Und vieles davon hängt miteinander zusammen. Wir müssen uns in einer Welt zurechtfinden, in der kein Verlass ist und in der es keine Gewissheiten gibt, eine Welt, die immer unübersichtlicher und undurchschaubarer wird. Woran also sollen wir uns orientieren? Als Physiker liebe ich Modelle – und es gibt Modelle, die eine solche Welt ganz gut beschreiben und erklären. Mir hilft das, die Herausforderungen besser zu verstehen und die Handlungsoptionen zu erkennen, damit wir am Ende gute Entscheidungen treffen. Unser Ziel ist, dass die Welle nicht über uns zusammenbricht. Wir wollen vor der Welle reiten, einen Schritt voraus sein. Wir wollen agieren, bevor wir reagieren müssen.

Wie stellt sich Endress+Hauser auf diese neuen Rahmenbedingungen ein?

Selders: Im Kern geht es darum, die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens zu stärken – die Resilienz. Dazu müssen wir vor allem lernen, mit der Komplexität und Dynamik dieser neuen Welt zurechtzukommen. Wir brauchen Strukturen und Prozesse, die etwas aushalten. Indem wir in kleinen Schritten vorangehen, ermöglichen wir Agilität und Flexibilität. Dabei geben uns die Kultur und die Stabilität unseres Familienunternehmens die nötige Sicherheit, um Endress+Hauser angstfrei weiterzuentwickeln. Dem Unberechenbaren dieser neuen Welt begegnen wir mit Kooperation und unserem Netzwerk. Das ermöglicht uns, schnell zu sein und uns rasch anzupassen. Oder unerwartete Entwicklungen auszugleichen; so wie letztes Jahr, als die kleinen Einheiten die unerwarteten Schwächen der großen aufgefangen haben. Wichtig ist bei alledem, dass wir immer klare Ziele vor Augen haben. Und dafür sorgt unsere Strategie.

Altendorf: Wir sind für die Welt, wie sie sich uns heute darstellt, strategisch, organisatorisch und auch kulturell gut vorbereitet. Unser Geschäft ist breit abgestützt über die Regionen und Branchen. Unser Produktportfolio ist so stark wie nie. Durch die strategische Partnerschaft mit SICK in der Prozessautomatisierung ist es noch besser und noch breiter geworden. Unsere Kunden vertrauen und schätzen uns. Wir haben Mitarbeitende, die sich für unser Unternehmen engagieren. Und wir haben Gesellschafter, die in langen Linien denken und handeln. Wir verfolgen langfristige Ziele und haben einen starken Wertekanon. Weil wir immer solide wirtschaften, steht Endress+Hauser auf einem stabilen Fundament. Und das wird auch so bleiben. So können wir auch in schwierigen Situationen das Beste für das Unternehmen erreichen. Allerdings brauchen wir immer den Mut und die Kraft, uns in Frage zu stellen, um uns an Veränderungen anzupassen und um uns zu verbessern. Wir dürfen stolz auf das Erreichte sein – aber nie zufrieden, denn wir stehen immer im Wettbewerb. 

Selders: Grundsätzlich hilft uns, dass unsere Branche, die Prozess- und Laborautomatisierung, wächst, wenn auch nicht einheitlich und in allen Industrien. Wir haben mit Trends wie Digitalisierung, Demografie, Biotechnologie, Dekarbonisierung, Energieträgerwechsel und Energieeffizienz mächtige Treiber für unser Geschäft.

Ziele gemeinsam erreichen

Der promovierte Physiker Dr. Peter Selders (55) ist seit 2024 CEO der Endress+Hauser Gruppe. Zuvor arbeitete er 20 Jahre lang im Kompetenzzentrum der Gruppe für Füllstands- und Druckmesstechnik im süddeutschen Maulburg, dessen Geschäftsführer er seit 2019 war. Am Familienunternehmen schätzt er, langfristige Ziele verfolgen zu können; Kooperation ist für ihn ein Schlüssel zum Erfolg. In Anlehnung an den Extrembergsteiger Rainer Petek sagt er: „Wir überschätzen unsere Möglichkeiten, Dinge zu planen, und unterschätzen unsere Fähigkeit, mit Ungewissheit umzugehen.“ Unabdingbar ist für den passionierten Wanderer aber eine gründliche Vorbereitung – ob im Unternehmen oder auf einer Bergtour. Peter Selders ist verheiratet und Vater von fünf Kindern.

„Wir erleben eine Welt, die aus den Angeln geraten scheint. Wir müssen lernen, mit der Komplexität und Dynamik dieser neuen Welt zurechtzukommen.“

Peter Selders

CEO der Endress+Hauser Gruppe

Treten Themen wie Klima- und Umweltschutz vor dem Hintergrund der aktuellen Umbrüche nicht gerade etwas in den Hintergrund?

Selders: Das sehe ich so pauschal nicht. An den naturwissenschaftlichen Tatsachen lässt sich nicht rütteln. Wenn auch in Zukunft lebenswertes Leben auf diesem Planeten möglich sein soll, müssen wir handeln. Hinter diesen Anstrengungen steht auch immer das Ziel, effizienter zu werden, Ressourcen besser zu nutzen, neue Prozesse und Verfahren zu entwickeln. Das ist unser Kerngeschäft. Das müssen alle unsere Kunden machen, das lässt sich nicht aufhalten. Das ist nicht neu und das geht nicht ohne Messtechnik. Altendorf: Was sicherlich richtig ist: Die Politik muss der Machbarkeit der Klimaziele mehr Aufmerksamkeit schenken und der Wirtschaft mehr Zutrauen schenken bei der Umsetzung. Es muss uns gelingen, die ökologische Transformation ökonomisch und sozial verträglich zu gestalten. Das braucht Zeit, einen gesellschaftlichen Konsens – und auch Innovation und neue Technologien. Wir Menschen sind selten bereit, unseren persönlichen Lebensstil schnell zu ändern, aber wir können uns gut an neue, bessere Umstände gewöhnen.

Was bedeutet die strategische Partnerschaft mit SICK auf dem Gebiet der Prozessautomatisierung in diesem Kontext?

Selders: Sie passt zu unserer Strategie und sie passt zu unserem Markenkern. Wir schließen mit den Gas-Analysatoren und Durchflussmessgeräten wichtige Lücken in unserem Angebot. Und wir gewinnen durch die über 800 neuen Mitarbeitenden stark an Kompetenz auf diesen Gebieten. Dadurch werden wir für unsere Kunden ein noch wertvollerer Partner – heute und morgen. Wir können sie bei wichtigen Themen wie Energie- und Ressourceneffizienz besser unterstützen und langfristig bei der Dekarbonisierung ihrer  Produktionsprozesse begleiten. Dafür werden wir im Joint Venture für Produktion und Entwicklung der Gasanalyse und -messtechnik gemeinsam Innovationen vorantreiben. Um auf meine Punkte von vorhin zurückzukommen: Wir stellen uns breiter und damit stabiler auf, stärken unsere Strukturen und erweitern unser Netzwerk.

Und welche Erwartungen haben sie ganz konkret für das laufende Jahr?

Selders: Wir erwarten wieder ein herausforderndes Jahr, mit einer uneinheitlichen ökonomischen Entwicklung in der Welt und größeren politischen Umwälzungen, die sich auf die  globale Wirtschaft auswirken werden. Wir werden aufmerksam sein, umsichtig handeln und die Kosten im Blick behalten. Wir halten fünf bis sechs Prozent Wachstum für möglich. Aber das ist kein Selbstläufer, dafür müssen wir etwas tun, uns gezielt weiterentwickeln. Wir sind für die großen globalen Trends und Entwicklungen gut positioniert. Der Messtechnik-Bedarf weltweit steigt. Es sind also Chancen da, und die wollen wir nutzen.
 
Teilen Sie diese Einschätzung, Herr Altendorf?


Altendorf: Sie wissen, ich bin immer zuversichtlich! Wir müssen das Beste erhoffen, uns auf das Schlimmste vorbereiten – und mit ebenso viel Zuversicht in die Zukunft schauen, wie wir mit Stolz auf die Vergangenheit zurückblicken. Wir haben vieles selbst in der Hand. Darauf müssen wir uns konzentrieren: nahe an den Kunden bleiben, innovative Produkte entwickeln, hervorragende Produktions- und Logistiknetzwerke unterhalten. Unsere Unternehmenskultur hilft uns dabei. Auch weil sie das Wir über das Ich stellt. Der Zusammenhalt, das Miteinander – im Unternehmen, mit den Eigentümern, mit Kunden und Partnern – sind heute wichtiger denn je.