Schritt für Schritt weiter

Endress+Hauser steht bestens da – und muss sich doch ständig bewegen, um erfolgreich zu bleiben. Verwaltungsratspräsident Matthias Altendorf und CEO Peter Selders beleuchten im Gespräch das Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Transformation. 

Fragen: Martin Raab
Fotografie: Andreas Mader
Supervisory Board president  Matthias Altendorf and CEO Peter Selders of Endress+Hauser

Herr Altendorf, 2023 war Ihr letztes Jahr als CEO. Wie hat sich Endress+Hauser behauptet?

Altendorf: Es war in der Summe ein gutes Jahr, obwohl wir immer noch Herausforderungen in den Liefer- und Logistikketten hatten und mit den Verwerfungen durch die Energiekrise kämpfen mussten. Auch die Wechselkurse haben gegen uns gearbeitet. Dennoch konnten wir organisch stark wachsen und unser Ergebnis verbessern, weltweit Arbeitsplätze schaffen und so stark investieren wie noch nie.

 

Was hat die Entwicklung des Geschäfts geprägt?

Altendorf: Manche Kunden haben ihre Lagerbestände abgebaut, nachdem sich die Lage an den Beschaffungsmärkten etwas entspannt hat. Das haben wir an verschiedenen Stellen gespürt – etwa in der Lebensmittelindustrie oder im Maschinenbau. In der Chemieindustrie sehen wir eine Verlagerung der Investitionen von Europa nach Amerika, Asien und Nahost, ebenso die Verschiebung von Produktion von China nach Südostasien und nach Indien. Elektromobilität und erneuerbare Energien, Ressourceneffizienz und Energieeinsparung waren wieder Treiber unseres Geschäfts.

 

Herr Selders, seit Jahresbeginn sind Sie der neue CEO der Gruppe. Werden Sie für 2024 ähnlich gute Zahlen vorlegen können?

Selders: Unser Auftragseingang hat sich schon Mitte 2023 abgeschwächt, unterschiedlich stark, je nach Branche und Region. Das haben wir noch nicht überwunden. Vieles hängt deshalb von einer möglichen konjunkturellen Erholung in der zweiten Hälfte des Jahres ab. Aber wir sind mit einem guten Auftragsbestand ins Jahr gestartet und unsere Mitarbeitenden im Vertrieb geben alles, um die Zahlen nach oben zu bringen. Nach Jahren mit zweistelligem Wachstum werden wir uns aber wahrscheinlich wieder mit einem einstelligen Plus zufriedengeben müssen.

 

Welche Herausforderungen sehen Sie im laufenden Jahr?

Selders: Das erste große Thema für die Firmengruppe wird sein, Wachstum und Profitabilität sicherzustellen. Dabei stehen wir je nach Region vor unterschiedlichen Herausforderungen. In Deutschland müssen wir neue Kunden gewinnen, weil ein Teil der Industrie abwandert. In den USA gilt es, das starke Wachstum der vergangenen Jahre abzusichern. Und in China müssen uns so positionieren, dass wir auch in einem Umfeld mit weniger Wachstum erfolgreich bleiben. Das zweite große Thema ist die geplante strategische Partnerschaft mit SICK. Wenn diese Verhandlungen erfolgreich sind, wird uns dieses Projekt stark beschäftigen – die Integration des Vertriebs in unsere Sales Center, die Zusammenarbeit in Innovation und Produktion in einem Joint Venture. In dieser Größenordnung ist das neu für uns.

„Wir finden immer dann die beste Lösung, wenn wir uns einem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven nähern.“

Peter Selders

CEO der Endress+Hauser Gruppe

 CEO Peter Selders
GUT VORBEREITET

Dr. Peter Selders (54) ist seit 2024 CEO der Endress+Hauser Gruppe. Zuvor hat er 20 Jahre lang im Kompetenzzentrum der Gruppe für Füllstands- und Druckmesstechnik im süddeutschen Maulburg gearbeitet, dessen Geschäftsführer er seit 2019 war. In Anlehnung an den Bergsteiger Rainer Petek sagt er: „Wir überschätzen unsere Möglichkeit, Dinge zu planen, und unterschätzen unsere Fähigkeit, mit Ungewissheit umzugehen.“ Unabdingbar ist für den passionierten Wanderer aber eine gute Vorbereitung – etwa, wenn er mit seiner Frau und den fünf Kindern in den Bergen unterwegs ist.

Wie fügt sich die geplante Zusammenarbeit mit SICK in die Strategie von Endress+Hauser ein?

Selders: Aus meiner Sicht passt das perfekt – und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern auch nach allem, was wir im Austausch und bei unseren Besuchen gelernt haben. SICK und Endress+Hauser teilen eine ähnliche Kultur und viele Werte, beide Unternehmen stellen den Menschen in den Mittelpunkt und handeln mit langfristigem Blick. Dazu gehört, dass wir Klima- und Umweltschutz als Chance begreifen. Und wir haben keine Überschneidungen im Portfolio für die Prozessindustrie. Die Produkte von SICK ergänzen unsere eigenen, so dass wir unsere Kunden noch besser unterstützen können.

Altendorf: Unsere Kunden müssen ihre Produktion nachhaltiger gestalten und ihren CO2-Fußabdruck verkleinern. Durch die geplante Partnerschaft können wir unseren Kunden ein umfassenderes Portfolio anbieten, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Die Gas-Durchflussmessgeräte und Analysatoren von SICK helfen, die Anlagen unserer Kunden effizienter zu machen, Ressourcen gut zu nutzen und die Umweltbelastung genau zu erfassen.

 

Was steht einer Kooperation noch im Wege?

Selders: Es gibt noch viele Details zu klären, etwa rechtliche und wirtschaftliche Fragen, ebenso, wie die Integration der IT gelingen kann. Unser Ziel ist ein reibungsloser Übergang; die Kunden dürfen den Start der Zusammenarbeit gar nicht merken. Aber entscheidend ist für uns, dass die Menschen den Weg mitgehen. Wir bewegen uns in einem technologischen Umfeld. Egal, ob es um Innovation und Produktion geht oder Vertrieb und Service: Unser Erfolg beruht auf dem Wissen und Können der Menschen. Wir müssen sie für unseren gemeinsamen Weg begeistern und gewinnen, damit es zum Vertragsabschluss kommen kann. Das wollen wir mit Offenheit und Transparenz erreichen.

Altendorf: Wir müssen deutlich machen, dass wir nicht einfach etwas dazukaufen. Es geht um eine langfristige Partnerschaft zweier erfolgreicher Familienunternehmen, die gemeinsam noch erfolgreicher sein können.

 

Wenn Sie den Blick nach vorn werfen, Herr Selders: In welche Richtung wollen Sie Endress+Hauser weiterentwickeln?

Selders: Zunächst einmal: Endress+Hauser ist in ausgezeichneter Verfassung. Es besteht kein Grund, den eingeschlagenen Weg zu verlassen. Aber natürlich dürfen wir als Unternehmen nicht stehenbleiben. Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, müssen wir uns ständig weiterentwickeln. Als Familienunternehmen bringen wir dafür die besten Voraussetzungen mit, denn wir handeln langfristig und pflegen eine Kultur der Zusammenarbeit und des Zusammenhalts. Auch diese Kultur werden wir weiterentwickeln, um das zu bewahren, was uns heute ausmacht und auszeichnet.

 

Welche Themen werden Sie in den nächsten Jahren am meisten beschäftigen?

Selders: Unsere beiden größten Themen sind Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Nachhaltigkeit, weil es ohne Klima- und Umweltschutz in Zukunft kein lebenswertes Leben auf dieser Erde geben wird. Aber das lässt sich nicht allein mit Idealismus und Verzicht lösen. Es muss uns gelingen, Nachhaltigkeit mit wirtschaftlichem Fortschritt zu kombinieren und zu wettbewerbsfähigen Kosten zu erreichen. Das gilt für unsere Kunden und für uns als Unternehmen. Digitalisierung, das zweite große Thema, ist der Schlüssel zu vielen Dingen. Etwa zur Nachhaltigkeit, um weniger Ressourcen zu verbrauchen, sie intelligenter und effizienter einzusetzen. Oder für Herausforderungen im Umgang mit der alternden Gesellschaft und dem Fachkräftemangel. Digitalisierung ist für uns extrem wichtig als Enabler. Es geht darum, alle verfügbaren neuen Technologien in unseren Produkten, in der Interaktion mit Kunden und in unseren internen Prozessen bestmöglich zu nutzen – so, wie wir das in unserer Strategie formuliert haben.

 

Wie werden Sie als CEO Ihre Aufgaben angehen?

Selders: Zunächst einmal verstehe ich mich nicht als One-Man-Show. Ich bin ein Teamplayer und arbeite immer mit den Menschen zusammen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir immer dann die beste Lösung finden, wenn wir uns einem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Deshalb höre ich erst einmal zu, um zu verstehen und abzuleiten, was zu tun ist – und das dann entschlossen durchziehen. Das kostet manchmal mehr Zeit und Kraft, ist im Ergebnis aber nachhaltiger. Wichtig ist deshalb, die Menschen mitzunehmen. Jede Weiterentwicklung stellt eine Anstrengung dar; die Dinge laufen nur selten von allein. Dann ist Beharrlichkeit nötig, um nicht nachzulassen. Und es gelingt uns umso leichter, je mehr wir einander vertrauen.

„Es geht auch darum, den Generationenwechsel in der Familie Endress gut zu begleiten. Diese Kontinuität ist wichtig für uns.“

Matthias Altendorf

Präsident des Verwaltungsrats der Endress+Hauser Gruppe

Matthias Altendorf, President of the Supervisory Board of the Endress+Hauser Group
FEST VERWURZELT

Matthias Altendorf (56) hat seine Karriere bei Endress+Hauser mit einer Lehre als Mechaniker begonnen, an die sich Studium, Auslandsaufenthalt und Weiterbildung anschlossen. 2014 übernahm er die Leitung der Firmengruppe. 2024 wechselte er als Präsident in den Verwaltungsrat. Ausgleich findet Matthias Altendorf beim Segeln, im Schachspiel, auf dem Motorrad und bei der Waldarbeit. Reisen, Kunst und Lesen sind weitere Hobbys. Matthias Altendorf ist verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes.

Herr Altendorf, Sie treten nach zehn Jahren als CEO ab. Was bleibt Ihnen als größter Erfolg in Erinnerung – und was als größte Niederlage?

Altendorf: Für mich persönlich war die Rückabwicklung unseres russischen Geschäfts sehr schmerzhaft. Ich bin angetreten mit dem Ziel, nie Mitarbeitende betriebsbedingt zu entlassen. In Russland mussten wir genau das tun und uns von vielen guten Kolleginnen und Kollegen trennen. Natürlich war das eine Folge von Russlands Krieg gegen die Ukraine und den Sanktionen des Westens. Aber das war, wenn Sie so wollen, meine größte Niederlage. Daneben haben wir in meiner Zeit als CEO zwei schwere Krisen erlebt: gleich zu Beginn die Ölpreiskrise, später die Coronavirus-Pandemie. Beide Situationen haben wir mit unseren Kunden, Mitarbeitenden und Eigentümern hervorragend bewältigt. Und wir konnten sie als Chance nutzen. Endress+Hauser ist gestärkt und mit Beschleunigung aus beiden Krisen hervorgekommen. Das sehe ich als unseren größten Erfolg.

 

Sie bleiben als Verwaltungsratspräsident im Unternehmen aktiv und präsent. Wie sehen Sie Ihre neue Rolle?

Altendorf: Selbstverständlich werde ich alles tun, damit Herr Selders einen guten Einstieg findet. Und ich werde den Verwaltungsrat führen und engen Kontakt mit unseren Eigentümern halten. Es geht auch darum, den Generationenwechsel in der Familie Endress gut zu begleiten. Diese Kontinuität ist wichtig für uns als Familienunternehmen. Daneben werde ich weiterhin reisen, unsere Einheiten und Kunden besuchen und Endress+Hauser repräsentieren. Ich möchte nahe am Unternehmen, an den Menschen und an der Technologie bleiben, auch um die Entscheidungen des Executive Boards zu verstehen.

 

Endress+Hauser wird Sie aber nicht mehr vollständig ausfüllen. Welche Pläne haben Sie für diese nächste Lebensphase?

Altendorf: Keine Sorge, ich werde nach wie vor ein ausgefülltes Arbeitsleben haben! Neben meinen Aufgaben bei Endress+Hauser nehme ich Lehraufträge wahr, bin in Verbänden aktiv und halte auch in anderen Verwaltungsräten Einsitz. Privat werde ich mehr Zeit mit meiner Frau und für meine Hobbys haben.

 

Herr Selders, Herr Altendorf, was wird Ihre ganz persönliche Herausforderung 2024 sein – was möchten Sie bis Ende des Jahres erreicht haben?

Selders: Mit meinen Kollegen im Executive Board und dem ganzen Endress+Hauser Team möchte ich das wirtschaftlich eher schwierige Jahr gut meistern. Wenn wir Ende 2024 sagen können, dass wir aus den Rahmenbedingungen das Beste herausgeholt und uns ein Stück weiterentwickelt haben, dann habe ich ein gutes erstes Jahr als CEO hingelegt!

KRÄFTE BÜNDELN

Endress+Hauser und der deutsche Sensorspezialist SICK streben eine strategische Partnerschaft an. Beide Unternehmen haben im Oktober 2023 eine entsprechende Absichtserklärung für den Geschäftsbereich Prozessautomation von SICK unterzeichnet. Ziel ist, das Angebot von Endress+Hauser um die Prozessanalyse- und Gas-Durchflussmesstechnik von SICK zu erweitern. Die Verkaufs- und Serviceteams des SICK Geschäftsbereichs sollen in die Endress+Hauser Vertriebsorganisation integriert werden, ein Joint Venture die Produktion und Entwicklung der SICK Prozesstechnik übernehmen. Der Geschäftsbereich, in dem heute rund 1.600 Menschen arbeiten, setzt jährlich über 350 Millionen Euro um.

 CEO Peter Selders and Supervisory Board president  Matthias Altendorf