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Nach vorn geführt

Die Corona-Pandemie stellt Unternehmen vor Herausforderungen – und sie treibt Entwicklungen voran. Da ist Führung nötig: Stefan Scheiber und Matthias Altendorf sprechen über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse.

Fragen: Martin Raab
Fotografie: Jekaterina Gluzman
Stefan Scheiber im Gespräch
Stefan Scheiber trifft Matthias Altendorf

Inspirierende Umgebung: Stefan Scheiber (links) trifft Matthias Altendorf im Innovationszentrum CUBIC der Bühler Group im sankt-gallischen Uzwil.

Herr Scheiber, Herr Altendorf, wann haben Sie realisiert, dass Sie es bei Corona mit einer echten Krise zu tun haben?


Scheiber: Dass es um eine ernste Sache geht, haben wir erkannt, als unsere chinesischen Mitarbeitenden nach dem Neujahrsfest nicht mehr in unser Werk zurückkehren konnten. Wir beschäftigen 3.500 Menschen in China, über 50 Prozent unserer Produktionskapazität befinden sich dort. Wenn da alles stillsteht, laufen wir Gefahr, dass sich unsere Lieferungen verzögern.


Altendorf: Zur gleichen Zeit war ich in Asien unterwegs. Mein Sitznachbar im Flugzeug hat gemeint, wir müssten jetzt wohl wieder in den SARS-Modus wechseln – und hat ­seine Pandemie-Ausrüstung gezeigt: Mund-Nasen-Schutz, Händedesinfektion und Kugelschreiber.

Wozu denn der Kugelschreiber?


Altendorf: Mit dem Stift kann man im Lift den Knopf drücken, ohne ihn mit dem Finger zu berühren! Bei der Ankunft in Taiwan war dann der Flughafen von Taoyuan wie ausgestorben – und das am Ende des chinesischen Neujahrsfests. Alle China-Flüge: gestrichen!


Wie haben Sie dann reagiert?


Altendorf: Wir haben das sofort zum Thema im Executive Board gemacht und alle ­Geschäftsreisen von, nach und in Asien gestoppt. Und wir haben eine gruppenweite Task­force eingesetzt.


Scheiber: Für uns war erst einmal entscheidend, den Betrieb in China wieder zum Laufen zu bringen. Das haben wir zum Glück sehr schnell geschafft. Und wir haben ebenfalls eine Taskforce etabliert, um die Pandemie zu managen. Sie unterstützt das Linienmanagement, das sich um das Operative kümmern muss. Das haben wir weltweit so gemacht, um sicherzustellen, dass wir die Gesundheit der Mitarbeitenden überall schützen.


Altendorf: Ehrlicherweise muss man aber sagen, wir hatten keinerlei Erfahrung, wie man mit einer Epidemie umgeht – unsere Kolleginnen und Kollegen in Asien dagegen schon. Sonst sind in den Meetings meistens sie es, die zuhören und lernen möchten.
In der Corona-Pandemie war es auf einmal andersherum.

„Wir haben erlebt, wie dynamisch der Wandel ist. Deshalb kommt es immer stärker auf die Fähigkeit an, Partnerschaften zu schmieden.“

Stefan Scheiber,

CEO der Bühler Group

Hat sich in der Pandemie die Art und Weise geändert, wie Sie das Unternehmen führen?


Altendorf: Normalerweise treffe ich die Geschäftsführer unserer Gruppenfirmen einmal im Jahr. In der Pandemie haben wir auf vierteljährliche Videokonferenzen umgestellt. Das hat das gesamte Executive Board sehr nahe an das operative Geschäft herangebracht. Wir hatten die Hand am Puls und konnten sofort spüren, was in den Einheiten los ist.


Scheiber: Das regelmäßige Kommunizieren war in der Pandemie wahnsinnig wichtig. Wir haben unsere Kommunikation unglaublich intensiviert. Ich hatte jeden Monat ­einen Call mit allen Regionalleitern. Ein Thema war auch, wie wir die Situation als Führungskräfte managen.


Altendorf: Man muss die Mitarbeitenden in dieser Situation die Empathie spüren lassen, die das Unternehmen
in seiner Seele hat. Ihnen zeigen, dass es uns interessiert, wie es ihnen geht, was mit ihnen passiert. Dass wir sie nicht alleinlassen mit ihren Problemen. Mir war es sehr wichtig zu vermitteln, dass wir diese Krise nur durch Solidarität überwinden können, nicht durch Egoismus.
Alle müssen mitmachen; wir können das nur zusammen durchstehen.

„Durch Corona haben wir einen unglaub­li­chen Digitalisierungsschub erlebt.“

Stefan Scheiber,

CEO der Bühler Group

Wie haben Sie den Spagat zwischen Krisenmanagement und Strategieentwicklung hinbekommen?


Scheiber: Wir haben einen fünfjährigen Strategiezyklus, der 2020 ausgelaufen ist. Es war wichtig, dass wir in der Pandemie eine neue Strategie entwickelt und deren Umsetzung geplant haben. Die Menschen brauchen eine ­Perspektive, und das gilt natürlich auch für unsere Mitarbeitenden. Sie müssen Hoffnung haben, dass die Krise ­irgendwann überstanden ist und das Geschäft eine Zukunft hat. Deshalb haben wir die Strategieentwicklung durch­gezogen. Das hat sehr viel positive Energie gegeben, da wir uns proaktiv mit der Zukunft auseinandergesetzt und uns nicht ins Schneckenhaus zurückgezogen haben.


Altendorf: Wenn man der Krise ein Ende zuweist, dann gewinnt man immer auch Zuversicht. Die Menschen ­müssen wissen, es wird eine Zeit geben, in der wir die Krise überwunden haben. Das geht vorbei. Wir können nicht ­sagen, ob es sechs, zwölf oder achtzehn Monate dauert – aber es wird vorbeigehen.
Was bedeutet die Krise für Ihr Geschäft?


Scheiber: Für viele unserer Kundinnen und Kunden hatte die Pandemie dramatische Auswirkungen. Manche Segmente sind richtiggehend eingebrochen, andere geradezu explodiert. Das Geschäft mit pflanzlichen Lebensmittelnist enorm gewachsen. Wir sind in diesem Markt gut positioniert. Aber wir mussten dieses Wachstum erst einmal bewältigen. Die Lebensmittel-Branche ist sonst sehr stabil. Eine solche Dynamik haben wir noch nie erlebt.

Altendorf: Da hat bei den Konsumenten ein echter Bewusstseinswandel stattgefunden. Gesundheit, Ernährung, Umwelt – alle diese Themen haben enorm an Bedeutung gewonnen.


Scheiber: Corona hat ganz viel verändert, und dazu gehört die Erkenntnis, dass der Klimawandel die große Herausforderung der nächsten Jahre ist. Wenn die Industrie gute Lösungen findet, damit Kunden ihre Anlagen nachhaltiger, effizienter, umweltfreundlicher und damit ­profitabler betreiben können, ist das eine gute Nachricht: Die Industrie zerstört nicht die Umwelt, sie liefert Lösungen für unsere Umwelt­probleme.

Stefan Scheiber Porträt
Im Unternehmen geprägt

Stefan Scheiber (Jahrgang 1965) studierte Betriebswirtschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften St. Gallen und bildete sich später unter anderem am ­Institut IMD in Lausanne sowie an der Harvard Business School weiter. Seine Karriere bei Bühler begann er 1986. Er arbeitete in verschiedenen Managementpositionen, die ihn nach Ost- und Südafrika, Osteuropa und Deutschland führten. Seit 2005 ist er Mitglied der Konzernleitung. 2016 wurde Stefan Scheiber CEO der Bühler Group, seit 2020 ist er zudem Mitglied des Verwaltungsrats. Er ist erst der sechste CEO in der 161-jährigen Geschichte des Unternehmens.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Krise?


Scheiber: Wir haben erlebt, wie dynamisch der Wandel ist – in ­Kommunikation, Technologie, Digitalisierung. Deshalb kommt es immer stärker auf die Fähigkeit an, Partnerschaften zu schmieden und die Zusammenarbeit zu suchen. Bühler ist ein Unternehmen von Ingenieurinnen und Ingenieuren. Wir haben immer alles selbst erfunden. Aber das ist kein Modell für die Zukunft. Unsere Welt ist so schnelllebig und die Veränderung derart breitgefächert, dass wir mit den besten Lieferanten und Partnerinnen zusammenarbeiten müssen – und dann gehen wir mit einer neuen Lösung gemeinsam zu den Kunden. Netzwerke sind superwichtig im 21. Jahrhundert.

Altendorf: Wir müssen uns im Unternehmen auf die ­Dinge konzentrieren, die wir gut können, und Nutzen für die Kunden schaffen. Deshalb denken wir heute in Öko­systemen. Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten der Kommunikation und Kollaboration. In der Begegnung eins zu eins ist es schwierig, so ein Ökosystem mit Leben zu füllen. Wenn ich mit vielen gleichzeitig in Austausch treten kann, lässt sich dies viel einfacher erreichen.


Scheiber: Die Krise hat aber auch gezeigt, wie wichtig die physische Infrastruktur ist mit unseren über 100 Servicestationen weltweit. Diese Mitarbeitenden sind in den Märkten, in den Ländern; sie können sich dort bewegen, auch wenn die Grenzen geschlossen sind. Das lässt sich nicht digitalisieren.

Innovationen für eine bessere Welt

Die Bühler Group mit Sitz in Uzwil ist ein international tätiger Schweizer Technologiekonzern. 2020 erzielte das 1860 gegründete Familienunternehmen 2,7 Milliarden Schweizer Franken Umsatz. Es beschäftigt weltweit 12.500 Mitarbeitende. Das globale Netzwerk umfasst 100 Servicestationen, 33 Produktionswerke und Anwendungszentren an 24 Standorten. Bühler entwickelt führende Prozesslösungen und nachhaltige Wertschöpfungsketten für die drei ­Geschäftsbereiche Grains & Food (sichere und gesunde Lebens- und Futtermittel), Consumer Foods (kulinarische Köstlichkeiten) und ­Advanced Materials (energieeffiziente Mobilität und Gebäude).

Besteck und Teller Illustration
2 Mia. Menschen essen täglich Lebensmittel, die auf Anlagen von Bühler hergestellt werden.
Autoillustration
50 % der Neuwagen enthalten Druckgussteile, die mit Technologien von Bühler produziert werden.
getreideillustration
65 % des weltweit geernteten Weizens wird durch Mühlen von Bühler zu Mehl.
Schokoladentafelillustration angebissen
60 % der weltweiten Kakao-Ernte wird durch Anlagen von Bühler verarbeitet.

Was denken Sie, was wird von der Pandemie bleiben?


Scheiber: Durch Corona haben wir einen unglaublichen Digitalisierungsschub erlebt, und zwar in allem, was wir tun. In einem Jahr haben wir so große Fortschritte gemacht wie sonst vielleicht in fünf oder zehn Jahren!


Altendorf: Executive-Board-Meetings, Verwaltungsratssitzungen, Management-Konferenzen – wir hätten uns
nie vorstellen können, das völlig digital zu machen. Aber egal, ob intern oder extern: Wir leben in der virtuellen Welt von den Beziehungen, die wir in der realen Welt aufgebaut haben. Ohne sich zu begegnen, ohne zu reisen wird das auf Dauer nicht gehen.


Scheiber: Und trotzdem hat die Pandemie gezeigt, dass man mit viel weniger Reisen viel mehr erreichen kann. Früher bin ich 40 bis 50 Prozent meiner Zeit gereist. Heute weiß ich: Es geht auch anders. Über das Geschäft können wir per Videokonferenz sprechen. Künftig gehe ich in erster Linie auf Reisen, weil ich unsere Mitarbeitenden treffen und mit ihnen sprechen will. Und für gewisse Dinge werde ich nie mehr eine Reise unternehmen!