„Innovation entsteht an Schnittstellen“

Die Life-Sciences-Industrie lebt von der Innovation. Severin Schwan, CEO von Roche, und Endress+Hauser Chef Matthias Altendorf diskutieren, was nötig ist, um an der Spitze zu bleiben – und welche Rolle Partnerschaften dabei spielen.

Questions: Martin Raab
Photography: Christoph Fein
Severin Schwan and Matthias Altendorf sitting next to each other on a table

Herr Schwan, die regulatorischen Anforderungen Ihrer Branche sind ein Thema, der politische Druck auf die Preise ein anderes… Zugleich wächst weltweit die Konkurrenz. Was ist für Sie die größte Herausforderung? 

Severin Schwan: Die allergrößte Herausforderung besteht darin, ständig neue Medikamente und diagnostische Verfahren zu entwickeln. Roche ist ganz auf Innovation fokussiert. Wenn wir nicht innerhalb von zehn Jahren unser Portfolio vollständig erneuern, können wir die Lichter ausmachen – dann laufen die letzten Patente aus. Aus dieser Herausforderung ergibt sich alles andere. Wenn wir ein sehr gutes Medikament entwickelt haben, müssen wir es natürlich produzieren, zu einem fairen Preis verbreiten, uns gegen die Konkurrenz durchsetzen… Aber der entscheidende Punkt ist, dass wir überhaupt die Innovation haben. 

 

Roche gehört zu den Unternehmen mit den weltweit höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Wie erzeugen und erhalten Sie ein innovatives Umfeld? 

Severin Schwan: Das hat vor allem mit Freiraum zu tun. Kreative Menschen brauchen Freiraum, sie brauchen Luft zum Atmen. Wenn Sie kreativen Leuten ständig vorgeben, was sie zu tun haben, wenn Sie sie in kleine Boxen stecken und sie mit Standard-Arbeitsanweisungen zuschütten, dann bekommen Sie nichts Neues.  

 

Herr Altendorf, wie unterstützt Endress+Hauser die Life-Sciences-Industrie? 

Matthias Altendorf: Da kommen verschiedene Elemente zum Tragen… Wir können unseren Kunden helfen, ihre Prozesse stabil und effizient zu fahren. Wir können sie unterstützen, die regulatorischen Anforderungen gut zu erfüllen. Und wir können ihnen Arbeiten abnehmen, die nicht zu ihrem Kerngeschäft gehören. Am Ende des Tages helfen wir mit unseren Produkten, Lösungen und Dienstleistungen für die Labor- und Prozessautomatisierung, die Zeit von der ersten Idee bis zum marktreifen Produkt zu verkürzen und diese Produkte effizient herzustellen. 

 

Roche hat schon vor Jahren auf die Verbindung von Pharmazie und Diagnostik gesetzt und damit auf personalisierte Medizin. Ist die Analyse-Strategie von Endress+Hauser ähnlich zukunftsweisend? 

Matthias Altendorf: Es sind unterschiedliche Gebiete, aber ein ähnlicher Ansatz. Unsere Kunden wollen nicht nur quantitative Parameter erfassen, sondern auch qualitative – in Labor, Technikum und Produktion. Deswegen haben wir den Bereich der Prozessanalyse gestärkt und mit der Übernahme von Analytik Jena den Schritt in die Laboranalyse gemacht. Wir wollen Kunden helfen, schon in Forschung und Entwicklung wie auch in den Qualitätslabors die richtigen Parameter zu messen, zu kontrollieren, zu validieren, so dass sie beim Übergang in die nächste Phase keine neue Evaluierung machen müssen.  

Severin Schwan: Ich kann das nur bestätigen. Die Entwicklungsprozesse von der Forschung bis hin zu den verschiedenen Stadien der präklinischen und klinischen Entwicklung greifen immer mehr ineinander. Da ist es ein großer Vorteil, wenn Sie als Partner über die Wertschöpfungskette hinweg die Prozesse unterstützen können. Es ist mit viel Zeitgewinn verbunden, wenn man mit den Technologien, mit denen man begonnen hat, nahtlos in die weitere Entwicklung und dann auch in die Produktion gehen kann. 

 

Welche Bedeutung haben für Sie Partnerschaften mit Zulieferern wie Endress+Hauser? 

Severin Schwan: Wir könnten unser Geschäft ohne Partner nicht betreiben; so einfach ist das. Wenn man Kooperationen langfristig angeht, wenn man eng über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zusammenarbeitet, wenn man gegenseitig die Bedürfnisse versteht, dann wird aus einer reinen Lieferantenbeziehung eine echte Partnerschaft. Dann kann man gemeinsam mehr Wert generieren – das ist ja das Schöne an einer Partnerschaft! 

 

Was unternimmt Endress+Hauser, um ein guter Partner zu sein? 

Matthias Altendorf: Wir versuchen, nahe bei unseren Kunden zu sein. Wir müssen ihre Bedürfnisse und Herausforderungen gut kennen. Wir müssen wissen, was sie bewegt, was sie herausfordert. Dann können wir unseren Kunden helfen und sie weiterbringen. Die Bedeutung der Biotechnologie hätten wir nicht so früh erkannt, wenn wir nicht so nahe bei unseren Kunden gewesen wären. 

„Wir könnten unser Geschäft ohne Partner nicht betreiben. Gemeinsam kann man mehr Wert generieren – das ist ja das Schöne an einer Partnerschaft!“

Severin Schwan

CEO Roche

Portrait Severin Schwan, CEO Roche

Roche ist heute die Nummer eins auf dem Gebiet biotechnologisch erzeugter Medikamente. Wie hat die Biotechnologie Ihr Geschäft und Ihr Unternehmen verändert? 

Severin Schwan: Die Grundvoraussetzungen sind unabhängig davon, wie Sie ein Medikament erzeugen. Entscheidend ist, dass Sie die Biologie verstehen, dass Sie die Ansatzpunkte erkennen. Erst dann suchen Sie die richtige Technologie aus, um in diese biologischen Prozesse im Körper einzugreifen. Das Geschäftsmodell an sich hat sich also nicht verändert. Aber eine Substanz auf biotechnologischem Weg herzustellen ist ein völlig anderes technisches Verfahren als ein kleines Molekül chemisch herzustellen. 

Matthias Altendorf: Der Produktionsprozess hat sich dramatisch geändert. In der Biotechnologie sind andere Parameter gefordert – da müssen auch wir innovativ sein. Vor zehn Jahren hätten wir nicht gedacht, dass wir Glukose messen können, den  „Stoffwechseltreibstoff“ einer Zelle.  

 

Severin Schwan: Sie bieten so etwas an? 

Matthias Altendorf: Mit Raman-Spektroskopie können wir messen, ob sich die Zellen wohlfühlen, ob und wie gut sie wachsen, ob sie genügend Glukose und Sauerstoff haben, ob sie zu viel Kohlendioxid produzieren…  

 

Wie wichtig ist für Sie die Kompetenz in der Produktion, Herr Schwan? 

Severin Schwan: Extrem! Die Entwicklung geschieht hier in der Regel in Zyklen. Wenn eine Technologie neu ist, dann stellt die Beherrschung dieser Technologie einen kompetitiven Vorteil dar. Über die Jahre werden diese Technologien dann zum Standard. Sie sehen das an den kleinen Molekülen, wo es heute viel Outsourcing gibt. 

In der Biotechnologie war es zunächst ein großer Vorteil für Roche, diese Prozesse gut zu beherrschen. In der Zwischenzeit ist die Herstellung von Antikörpern der ersten Generation ein Standardprozess geworden. Entsprechend haben wir begonnen, diese Prozesse ebenfalls auszulagern. Dafür gibt es heute stark veränderte Antikörper der zweiten und dritten Generation, bei denen wir uns effektiv über unser Know-how differenzieren können. Deshalb behalten wir diese Prozesse noch im Haus. Aber wahrscheinlich wird der Tag kommen, wo wir uns wieder überlegen müssen, ob das andere besser und effizienter können. 

 

Gleich nebenan hat Roche das höchste Gebäude der Schweiz errichtet. Sie haben Ihr Büro hier, im alt-ehrwürdigen Verwaltungsgebäude… Was sagt das über die Firmenkultur aus? 

Severin Schwan: Das hat viel mit Tradition zu tun. Es signalisiert Kontinuität und Stabilität. Das ist für uns vielleicht noch wichtiger als in anderen Branchen. Wir haben sehr lange Lebenszyklen bei unseren Produkten, wir müssen langfristig denken. Im Übrigen war es nie unser Ziel, ein möglichst hohes Gebäude zu schaffen... Das passt nicht zur Kultur von Roche. Aber um alle Mitarbeitenden hier in Basel an einem Standort zusammenzubringen, hatten wir nur die Möglichkeit, in die Höhe zu gehen. Deswegen war es umso wichtiger, dass zumindest die Unternehmensführung am Boden bleibt! (Lacht)  

Matthias Altendorf: Architektur wirkt auf Menschen! Das andere ist die Kommunikation: Es ist für die Kreativität und Kollaboration extrem wichtig, die Menschen nahe beieinander zu haben. 

Severin Schwan: Absolut. Innovation entsteht oft an den Schnittstellen, wenn verschiedene Funktionen zusammenkommen. Das gilt auch zwischen Firmen, in Partnerschaften wie der unseren. Es geht immer auf denselben Punkt zurück: Wie bleiben wir in punkto Innovation an der Spitze? Wir müssen ja immer das beste Medikament haben. Niemand will mit dem zweitbesten Mittel behandelt werden! 

 

Was kann Endress+Hauser von einer innovationsgetriebenen Branche wie den Life Sciences lernen? 

Matthias Altendorf: Die Mechanismen, wie Kreativität und Innovation entstehen, sind überall die gleichen. Man braucht die richtigen Menschen, diese Menschen müssen sich wohlfühlen, und man muss alles dafür tun, dass diese Menschen innerhalb eines bestimmten Rahmens erfolgreich arbeiten können. 

Severin Schwan: Das gilt übrigens nicht nur für die Wirtschaft. Schriftsteller, Musiker, Maler sind deshalb so kreativ, weil sie sich den Freiraum nehmen und eben nicht Konventionen folgen.  

Matthias Altendorf: Wichtig ist auch die Interaktion mit der Außenwelt… 

Severin Schwan: Künstler inspirieren sich gegenseitig und werden von außen inspiriert. Bei uns ist das genau gleich, ob das jetzt im wissenschaftlichen Bereich ist oder ob es um Erfahrungen in der Messtechnik geht… der Austausch ist wichtig!  

An der Spitze

Dr. Severin Schwan (49) ist seit 2008 CEO der F. Hoffmann-La Roche AG. Der Wirtschaftswissenschaftler und promovierte Jurist arbeitet seit 1993 für den Schweizer Pharmakonzern. Mit über 50 Milliarden Franken Umsatz und 94.000 Beschäftigten ist Roche die Nummer drei der Branche. Das 1896 gegründete Unternehmen fokussiert mit den Divisionen Pharmaceuticals und Diagnostics auf die Biotechnologie und gilt als weltweit führend in Krebsforschung und -therapie. Größter Anteilseigner von Roche ist der Aktionärspool der Gründerfamilien.