Generationenprojekt
Der globale Klimaschutz und die damit verbundene Dekarbonisierung nehmen Fahrt auf, nicht nur auf politischer Ebene. Investoren lenken globale Geldströme in Richtung grüner Technologien, ganze Branchen verändern sich grundlegend. Für die kohlenwasserstoffabhängige Prozessindustrie bringt das neue Herausforderungen, aber auch große Chancen. Eine Bestandsaufnahme.
der Emissionsreduzierungen in der Zement-, Stahl- und Chemieproduktion könnten bis 2070 mit Kohlenstoff-abscheidung, -nutzung und -speicherung (engl. CCUS) erreicht werden.
Geothermie, Gezeitenkraftwerke, CCUS
Davon geht die Internationale Energieagentur (IEA) aus. Denn viele der weltweit geplanten Projekte sind integriert in industrielle Hubs, die CO2 aus einer Reihe von Anlagen mit gemeinsamer CO2-Transport- und Speicherinfrastruktur abscheiden. Damit ist CCUS ein Hoffnungsträger unter den weniger verbreiteten klimaschonenden Lösungen. Denn die Geothermie, also das Nutzen der Erdwärme, entwickelt sich laut IEA global nur schleppend. Ähnliches zeigt sich bei Gezeitenkraftwerken. Gerade einmal sechs von ihnen sind weltweit in Betrieb. Die Gründe: hohe Investitions-kosten und komplexe Bauprozesse.
– so viel Leistung an Sonnen- und Windenergie muss weltweit ab 2030 pro Jahr installiert werden, um „Net Zero 2050“ zu erreichen.
Solar und Wind
Im bisherigen Rekordjahr 2020 war es ein Viertel davon. Das hat die Internationale Energieagentur IEA errechnet. Doch eine Entwicklung macht Hoffnung, dass es funktioniert: In Ländern, in denen zusammen knapp die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, fielen die Gestehungskosten für Wind- und Solarenergie im Jahr 2021 unter jene für Strom aus fossilen Quellen. Dazu zählen große CO2-Emittenten wie China, Indien und viele EU-Staaten. Ein wichtiger Nebeneffekt: Dank der kostengünstigen Photovoltaik haben seit 2016 rund 250 Millionen Menschen weltweit erstmalig Strom ohne direkten Netzanschluss. Die am schnellsten wachsende Energiesparte weltweit ist die Windkraft. Dennoch hinkt sie zum Beispiel in Europa wegen Akzeptanzproblemen den Ausbauzielen hinterher. China baute 2020 die meisten Anlagen weltweit; in den USA wird bis 2024 ein Boom der Offshore-Windindustrie erwartet.
des weltweiten Strombedarfs wurden 2020 durch Wasserkraft abgedeckt.
Wasserkraft
Die installierte Kapazität dieser Kraftwerke erreicht weltweit 1.211 Gigawatt. Unter den Erneuerbaren ist die Wasserkraft damit globaler Spitzenreiter. Stauseen und Flüsse dienen der direkten Erzeugung, Pumpspeicherwerke speichern kinetische Energie durch das Hochpumpen von Wasser in einen Stausee. Das Land mit der weltweit größten installierten Kapazität für Wasserkraft ist China. Rund um den Globus bieten zehntausende Staustufen und -dämme ohne Wasserturbinen noch viel Wachstumspotenzial für die Wasserkraft. Allerdings haben zunehmende Dürren in den letzten Jahren zu Problemen bei der Stromerzeugung mit Wasser geführt.
des weltweiten Energie-verbrauchs und über 70 % der CO2-Emissionen fallen in Städten an.
Wohnen, Städte
Ob die Menschheit das Mammutprojekt Energiewende stemmt, ist also auch eine urbane Frage – zumal sich die Stadtbevölkerung bis 2050 verdoppeln wird. Eine moderne klimaneutrale Stadt muss vielfältige Lösungen parat haben. Eine verbesserte Effizienz von Gebäuden und städtischen Anlagen verringert etwa den Energiebedarf. In Sachen Energieerzeugung ist ein Weg, von Kohle auf gasbefeuerte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen oder hocheffiziente Gas-und-Dampf-Turbinenkraftwerke umzuschwenken. Weitere Ansätze, um weniger Treibhausgase auszustoßen, sind eine gute öffentliche Verkehrsinfrastruktur, möglichst wenig – aber dafür elektrifizierter – Individualverkehr, eine kombinierte Flächennutzung – etwa mit Solaranlagen – oder sogar Vertical-Farming-Projekte.
mehr Energiespeicherkapazität als noch 2018 soll es bis zum Jahr 2038 auf der Welt geben.
Speicher
Das Ergebnis wären 2.800 Gigawattstunden, wie Bloomberg New Energy Finance prognostiziert. Und die Speicherwelt wird vielfältiger. Schnell einsatzbereite Kurzzeitspeicher wie Batterien, Druckluftspeicher oder Pumpspeicherkraftwerke können innerhalb eines Tages mehrfach Energie sichern und bereitstellen. Üblicherweise werden sie zum Ausgleich von Schwankungsmustern etwa durch Photovoltaik-Anlagen genutzt. Langzeitspeicher mit deutlich höherer Kapazität wie Wärmespeicher, große Speicherwasserkraftwerke oder chemische Speicher (Power-to-Gas) dienen als saisonales Backup. Auf der Power-to-Gas-Technologie – vor allem mit Wasserstoff als Endprodukt – ruhen große Hoffnungen. Schließlich bietet sie Vorteile wie eine mögliche Langzeitspeicherung, die Rückverstromung über die Brennstoffzelle oder den Einsatz als Rohstoff für die chemische Industrie.
des weltweiten Energiebedarfs und ein Viertel der globalen CO2-Emissionen entfallen auf die Industrie.
Industrie
Energieintensive Segmente wie Zement, Stahl und Petrochemie stehen in Sachen Defossilisierung vor enormen Herausforderungen. Für diese Industrien gilt es, Altanlagen zu optimieren, Brennstoffe und Technologien zu kombinieren oder etwa Rohstoffe wie Kohle durch Gas zu substituieren. Dort, wo keine emissionsarmen Technologien verfügbar sind, bieten Verfahren wie die CO2-Abscheidung eine Option. Viele der Industrieprozesse lassen sich nur durch Effizienzsteigerungen und den Einsatz von grünem Wasserstoff klimafreundlich gestalten. Dieser wird dafür in gigantischen Mengen benötigt. Analysten von McKinsey schätzen, dass die Industrie auch deshalb bis 2050 doppelt so viel Strom braucht wie heute.
der weltweiten CO2-Emissionen aus der Kraftstoffverbrennung fallen im Personen- und Güterverkehr an.
Verkehr
Gleichzeitig ist er der Sektor mit dem geringsten Anteil an erneuerbaren Energien – und bietet damit das größte CO2-Einsparpotenzial. Für eine Verkehrswende muss der hohe Endenergieverbrauch ohne Einschränkung der Mobilität gesenkt werden und die eingesetzte Energie klimaneutral erzeugt sein. Mittelfristig und global gesehen werden dazu alle Energieformen eine wichtige Rolle spielen: Strom vor allem bei elektrifizierten Kleinfahrzeugen und auf der Schiene. Wasserstoff, E-Fuels, Biofuels und Biogas dort, wo eine hohe Energiedichte und mehr Reichweite entscheidend sind, etwa bei Lastkraftwagen oder im Flugverkehr.
bis 2050 mindestens in die globale Netzinfrastruktur und die Flexibilität des Stromsystems investiert werden, um es für ein Zwei-Grad-Szenario fit zu machen.
Netze
Denn bisher fließt der meist zentral erzeugte Strom nahezu in Einbahnstraßen. In der neuen Energielandschaft bewegt er sich durch hunderttausende kleinere und dezentrale Anlagen in alle Richtungen. Sensoren und Smart-Meter liefern die Informationen und Ansteuermöglichkeiten von Verbrauchern und Erzeugern. So werden auch Privathaushalte, kommunale Verbraucher, Elektro-Ladestationen und Speicher in das intelligente Netz eingebunden. Um Schwankungen im stark beanspruchten Stromnetz auszugleichen, können Speicher- und Wärmepumpenverbünde oder Blockheizkraftwerke helfen.
Staaten wollen laut der Internationalen Atomenergie-behörde IAEA neu in die Kernkraft einsteigen.
Atomkraft
Und das allen Risiken und Ewigkeitskosten zum Trotz. Die globale Klimadebatte verhilft der Technologie gerade zum Comeback: „Ohne Kernenergie keine stabile Stromversorgung“, argumentiert die IAEA. Aktuell sind die USA (94 Reaktoren), Frankreich (56 Reaktoren) und China (50 Reaktoren) die größten Atomenergieerzeuger. 442 Meiler sind weltweit aktiv und decken 10 Prozent der globalen Stromversorgung. Die Zukunft der Technologie vor allem für Grundlastkraftwerke scheint international gesehen offener denn je.
weniger Energie aus Kohle wird je nach Szenario bis 2030 gebraucht.
Konventionelle Kraftwerke
Der Kohleausstieg gilt als schnellstes Element für eine deutliche CO2-Reduktion. Daher sieht jedes Klimaschutzszenario eine unterschiedlich schnelle Ausphasung alter Meiler vor. Gleichzeitig ist dieser Prozess mit Risiken in Sachen Stromversorgung verbunden und Kohle für viele Volkswirtschaften noch unverzichtbar. Allein in China befinden sich derzeit 200 Kohlekraftwerke im Bau, in Indien kommen zu den aktuell 280 Meilern 28 neue hinzu. Lösungen für die Zukunft neuer, effizienterer Kohlemeiler sind der verstärkte Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung und CO2-Abscheidung.
Veröffentlicht am 01.02.2022, zuletzt aktualisiert am 20.06.2022.
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