Eine neue Ära
Aller Anfang ist schwer. Das gilt auch für die Kreislaufwirtschaft. Wie sie für die Prozessindustrie zur Realität werden kann und Endress+Hauser ihre Umsetzung vorantreibt, erklärt Michael Sinz, der Leiter des strategischen Geschäfts.

Als Director Strategic Business wissen Sie, was Schlüsselkunden von Endress+Hauser weltweit bewegt. Welchen Stellenwert hat die Kreislaufwirtschaft aktuell für diese Unternehmen?
Die Kreislaufwirtschaft ist für die gesamte Prozessindustrie von fundamentaler Bedeutung. Denn nur mit ihr lassen sich die Pariser Klimaziele erreichen und die Treibhausgasemissionen auf netto null senken. Aktuell steigt der Umsetzungsdruck, da immer mehr Länder von Unternehmen verlangen, über ihre Nachhaltigkeit zu berichten und sich dort zu verbessern. Kreislaufwirtschaft ist hierfür ein Schlüssel, weil sie Ressourcen schont, Abfälle und Emissionen vermeidet. Dennoch steckt sie erst in den Anfängen.
Weshalb ist das so?
Kreislaufwirtschaft ist ein Mammutprojekt. Ihr ganzheitlicher Ansatz umfasst drei Felder. Bislang konzentrieren sich Unternehmen stark auf das erste Feld, die Energiewende. Die lässt sich relativ schnell und einfach intern und in der Lieferkette umsetzen. Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und künftig grüner Wasserstoff machen hier Prozesse nachhaltiger. Bei den anderen beiden Feldern geht es darum, Produktion und Konsum komplett zu verändern: Produkte sollen aus biobasierten Materialien hergestellt werden. Bestehen sie weiter aus fossilen Rohstoffen wie Öl oder Mineralien, sollen sie so lange wie möglich im Produktkreislauf gehalten, also recycelt und dem Kreislauf immer wieder zugeführt werden. Das erfordert alles eine größere und längere Transformation.
Wie können Unternehmen diese komplexe Aufgabe erfolgreich bewältigen?
Unternehmen müssen umdenken und zu einem systemischen Ansatz übergehen. Wollen sie den Kreislauf wirklich schließen, müssen sie bei jeder Produktentwicklung den gesamten Lebenszyklus betrachten. Von den Rohstoffen über das Design und die Herstellung bis zum Recycling. Dafür müssen sie in Stoffkreisläufen denken, dann innovative Lösungen und zirkuläre Geschäftsmodelle entwickeln, schließlich neue Wertschöpfungsketten aufbauen. Das gelingt nur, wenn sich Unternehmen stärker öffnen, kollaborieren, ihr Wissen teilen. Es braucht eine neue Ära der Zusammenarbeit, die zu einem Mehrwert für alle führt.
Gibt es Branchen, die hier als Vorreiter gelten?
Initiativen sehe ich in sämtlichen Branchen. Ein Querschnittsthema ist Recycling – besonders von Kunststoffen und Batterien. Hier entstehen entlang der Wertschöpfungsketten viele Allianzen zwischen der Chemieindustrie, der Öl- und Gasbranche, dem Bergbau, der Bauwirtschaft und Entsorgungsunternehmen. Das Thema wird politisch getrieben und bietet das größte Potenzial für neue Geschäftsmodelle. Abfall ist die Rohstoffquelle der Zukunft. Wer sie erschließt, mindert Versorgungsrisiken. Die hohen Anfangsinvestitionen zahlen sich auf lange Sicht aus.
Welche Schwerpunkte setzt die Prozessindustrie sonst noch?
Die Lebensmittelindustrie beschäftigt sich mit dem Upcycling von Nebenströmen aus der Produktion sowie Abfällen. Diese können zu Biomethan umgewandelt oder zu Futtermitteln aufgewertet und damit zurück in den Kreislauf gespeist werden. Wichtiger wird für alle Branchen als Großverbraucher auch der schonende Umgang mit der Ressource Wasser und deren Wiederverwendung.
Wie begleitet Endress+Hauser die Kunden bei der Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft?
Unser breites Portfolio an Messtechnik und Lösungen unterstützt unsere Kunden bei der Umsetzung in allen drei Handlungsfeldern der Kreislaufwirtschaft. Genaue und verlässliche Messungen machen Prozesse sicher und helfen, diese ressourcenschonend und energieeffizient zu gestalten. Durch unser Anwendungswissen und unsere Bereitschaft, uns mit unseren Kunden und ihren Anforderungen weiterzuentwickeln, haben wir uns früh Bereiche wie grünen Wasserstoff, weiße Biotechnologie oder chemisches Recycling erschlossen. Durch die Stärkung unseres Analysebereichs können Kunden Eigenschaften und damit die Qualität von Stoffen auch inline oder online bestimmen. Das wird mit Blick auf Beimischungen, nachwachsende Rohstoffe und Rezyklate wichtiger.
Und wie geht Endress+Hauser das Thema Kreislaufwirtschaft selbst an?
Aktuell steht die Dekarbonisierung unseres Portfolios im Fokus. Hier setzen wir verstärkt auf Vorprodukte von Lieferanten, die Grünstrom oder Rohstoffe mit einem hohen Recyclinganteil nutzen. Und wir versuchen, den Strombedarf unserer Geräte zu reduzieren. Zudem untersuchen wir, wie wir die lange Lebensdauer unserer Instrumente weiter optimieren und sie am Ende ihrer Nutzung in den Kreislauf zurückführen können.
Veröffentlicht am 23.04.2025, zuletzt aktualisiert am 12.05.2025.
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