„Wir brauchen Wissen und Enthusiasmus”
Künstliche Intelligenz wird die Art, wie Menschen arbeiten und Unternehmen Umsätze erzielen, grundlegend verändern. Und zwar zum Guten – davon ist Christian Klein, CEO von SAP, überzeugt. Mit Endress+Hauser Verwaltungsratspräsident Matthias Altendorf diskutiert er über den Wandel, der notwendig ist, um die Potenziale auch zu nutzen.
Herr Klein, wann haben Sie zuletzt im Alltag Künstliche Intelligenz genutzt?
Klein: Gerade gestern. Mein Sohn kam aus der Schule und zeigte mir eine neue Zeichen App: Die Kinder malen etwas, und die KI soll erraten, was da zu sehen ist.
Und im geschäftlichen Kontext?
Klein: Im Business nutze ich als Endanwender regelmäßig unsere eigenen KI Anwendungen. Zum Einsatz kommen sie zum Beispiel bei Compliance Checks der Reiseabrechnungen oder bei der Auswahl unserer Lieferanten. Und wenn ich eine Rede vorbereite, schaue ich, inwieweit mir unser AI Hub, in dem unterschiedlichste Sprachmodelle wie GPT4 eingebettet sind, den ein oder anderen Impuls geben kann.
Inwiefern werden KI-Systeme die Art und Weise verändern, mit der Ihre Kunden mit SAP-Produkten arbeiten?
Klein: Die Änderungen sind allumfassend. Ein Beispiel ist die Kommunikation. In jeder Sekunde gibt es viele Millionen Transaktionen mit SAP Systemen. Diese werden heute noch in der Regel händisch eingegeben. Das wird sich ändern. Die Kommunikation wird sich auf natürliche Sprache verlagern, verbunden mit einem viel höheren Grad an Automatisierung.
Herr Altendorf, welche Bedeutung haben KI-Anwendungen in der Prozessindustrie?
Altendorf: Die Prozessindustrie befindet sich mitten in der digitalen Transformation. Mittlerweile ist allen klar, wie groß das Potenzial von Daten ist. Das Problem ist die gigantische Menge. Wenn in einer großen Chemieanlage tausende Aktoren und Sensoren pro Sekunde eine riesige Summe an Daten liefern, entsteht ein Volumen, das kein Mensch mehr überblicken kann. An dieser Stelle unterstützt die KI. Sie hilft, diese Daten zu kategorisieren, zu priorisieren und schließlich zu verarbeiten, sodass Unternehmen in der Lage sind, bessere Entscheidungen zu treffen. Auf den Punkt gebracht: Eine datengetriebene Industrie wäre ohne KI gar nicht möglich.
In welchen Bereichen bietet KI weitere Potenziale?
Klein: Ich spreche mit vielen CEOs und CFOs. Sie alle berichten mir von einem Balanceakt, den sie zu meistern haben. Die Kunden möchten, dass die Unternehmen nachhaltiger werden. Auf der anderen Seite gibt es die Erwartung, dass die Unternehmen wachsen und ihre Gewinne steigern. Die Frage ist also: Wie gehen Nachhaltigkeit und Wachstum zusammen? Nehmen wir das Beispiel der Lieferketten: Auch da fällt eine Vielzahl von Daten an. Eine manuelle Analyse kann unmöglich alle Optionen erfassen. Die KI, die wir dort nutzen, hilft dabei, smarte Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel indem sie Logistikketten intelligent miteinander verknüpft. Ein anderes Thema ist die Unternehmensplanung: Es ist heute möglich, mit Hilfe der KI aus einer Vielzahl von Wetter , Business , Konsumenten oder Wirtschaftsdaten die Lagerhaltung zu optimieren. Kurz: Für Unternehmen ist KI ein Wachstumstreiber. Die Grundlage dafür sind die Daten. Für über 20.000 SAP Systeme haben unsere Unternehmenskunden bereits der Nutzung der Daten zugestimmt. Wir entwickeln zusammen ein Datenmodell, das immer weiter wächst.
Altendorf: In unserer Produktion muss sehr viel geschweißt werden. Bis vor kurzem gab es Mitarbeitende, die optisch geprüft haben, ob die Werkstücke richtig positioniert sind fürs Laserschweißen. Das ist wichtig, denn ist dies nicht der Fall, können Mensch und Umwelt zu Schaden kommen. Heute erledigt dies eine KI. Sie arbeitet hier schneller und zuverlässiger als der Mensch. Wir sparen Zeit in der Produktion, benötigen weniger Energie und erhöhen die Qualität. Das steigert die Effizienz und die Nachhaltigkeit.
Welche Rolle spielen Kollaborationen und Netzwerke bei der Anwendung von KI?
Klein: Ganz einfach: Es geht nicht ohne. Die Grundlage aller Kollaborationen ist heute die Cloud. Dort werden die Daten geteilt, dort können Unternehmen vernetzt agieren. Vor zehn Jahren hat man noch SAP Software gekauft, um sein Unternehmen zu digitalisieren. Heute geht es im zweiten Schritt darum, sich als Unternehmen zu öffnen und mit anderen zu kollaborieren. Um beim Thema Lieferketten zu bleiben: Die KI kann dann ihre Stärken voll ausspielen, wenn eine Vernetzung über die Unternehmensgrenzen hinweg gegeben ist.
Ist die Industrie bereit, über das eigene Unternehmen hinaus zu denken?
Altendorf: Aus meiner Perspektive ist diese Öffnung der entscheidende Hebel, um das Unternehmen nach vorne zu bringen. In der Welt von morgen wird kein Unternehmen mehr allein bestehen können. Erfolg hat, wer kollaboriert und damit Teil eines technologischen Ökosystems wird. Die Open Industry 4.0 Alliance, die SAP ins Leben gerufen hat und zu deren Gründungsmitgliedern Endress+Hauser zählt, ist ein gutes Beispiel dafür. Übrigens muss dieses
„Die KI ist dann stark, wenn sie über Unternehmensgrenzen hinweg vernetzt ist.“
Christian Klein
CEO SAP
Selbst einige Entwickler warnen davor, dass die KI uns Menschen über den Kopf wachsen könnte. Sollten wir daher jetzt regulieren, bevor es zu spät ist?
Klein: Ich war vor einigen Wochen in den USA und habe dort mit Vertretern der US Regierung genau diese Debatte geführt. Dabei habe ich gemerkt, dass die generelle Denke dort eine andere ist: Gibt es eine neue Technologie, findet man dafür zunächst Anwendungsfälle, beobachtet diese und stellt danach Fragen mit Blick auf Ethik und zur Regulierung. In Deutschland und auch auf EU Ebene ist es dagegen häufig so, dass man sich schon Gedanken zur Regulierung macht, bevor es überhaupt einen Anwendungsfall gibt. Ich glaube, der amerikanische Weg ist der bessere.
Altendorf: Natürlich müssen für den Einsatz von KI Gesetze und ethische Regeln gelten. Aber ein Kernproblem in Europa ist in der Tat, dass zu wenig unternehmerisch gedacht wird. Dass man versucht, über Verbote zu steuern, nicht über Anreize. Und dass dadurch Enthusiasmus zu Grabe getragen wird. Aber genau diesen Enthusiasmus benötigen wir. Wir sollten technische Entwicklungen wie die KI als Chance wahrnehmen, nicht als Risiko. Sonst entsteht eine diffuse Angst vor dem Unbekannten.
Blicken wir mal in die Glaskugel: Wie wird die KI das Geschäftsmodell von Endress+Hauser und SAP in zehn Jahren verändert haben?
Altendorf: Unser Angebot wird sich erweitern. Damit unsere Kunden die Daten, die wir generieren, wirklich nutzen können, benötigen sie zusätzlichen Kontext, also ein tiefes Verständnis dieser Daten. Das ist das Geschäftsmodell der Zukunft: Daten plus Kontext. Natürlich werden wir auch weiterhin Messtechnik produzieren. Aber es kann sein, dass ein Kunde das Produkt selbst gar nicht mehr besitzt, sondern nur die Daten beziehen will.
Klein: Ein Software Entwickler wird in zehn Jahren viel weniger Code schreiben müssen; das übernimmt für ihn die generative KI. Die gewonnene Zeit kann die Person dafür nutzen, sich Gedanken über Anwendungsfälle oder die Qualität der Algorithmen zu machen. Auch wird uns die KI dabei helfen, bessere Budgetentscheidungen zu treffen. Wenn wir heute 100 Controller fragen, wie sich das Geschäft entwickeln wird, erhalten wir 100 verschiedene Vorhersagen. Eine KI wird das in zehn Jahren besser können, weil sie viel mehr Daten berücksichtigt und verknüpft.
Wenn Ihre Kinder Sie heute fragen, ob es im Zeitalter der KI überhaupt noch Jobs für sie geben wird, was antworten Sie?
Altendorf: Wissen Sie, ich bin Jahrgang 1967 und kenne noch die Zeit, als die ersten Computer im Büro Einzug gehalten haben. Da hat man gesagt, dass hunderttausende Arbeitsplätze wegfallen werden. Aber was ist passiert? Es sind mehr Arbeitsplätze entstanden, die Produktivität hat sich vervielfacht. Und so wird es im Zeitalter der KI wieder sein. Klar ist aber auch: Die Arbeit wird sich verändern. Die Menschen können ihr Potenzial für intelligentere, kreativere, kommunikativere Arbeiten nutzen.
Klein: Auch ich mache mir über die Jobs der Zukunft keine Sorgen. Wo sich neue Geschäftsmodelle entwickeln, entsteht auch Wachstum – und davon profitieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Unternehmen. Klar ist, dass die Jobs der Zukunft datenlastiger sein werden. Das muss in der Ausbildung an den Schulen und Universitäten berücksichtigt werden. Es geht darum, vernetztes Denken zu vermitteln und zu lernen, IT und Business zusammenzubringen. Wir brauchen, Sie haben das eben auf den Punkt gebracht, Herr Altendorf, nicht nur Wissen, sondern auch Enthusiasmus. Haben wir beides, stehen wir vor einem Zeitalter, in dem wir dank unserer Kreativität in der Lage sein werden, die generative KI in unserem Sinne zu steuern.
“Eine datengetriebene Industrie wäre ohne KI gar nicht möglich"
Matthias Altendorf
Verwaltungsratspräsident der Endress+Hauser Gruppe
Veröffentlicht am 02.05.2024, zuletzt aktualisiert am 13.05.2024.
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