Weg damit

Die Menschheit hat über die Zeit verlernt, ressourcenschonend zu wirtschaften. Doch der Weg in die Kreislaufwirtschaft ist weiter offen. Das beweist nicht nur ein Blick zurück. Es gibt auch heute positive Ansätze – aber noch einiges zu tun.

Text: Marlene Etschmann, Roman Scherer, Robert Habi
Green field with waste
The International Space Station (ISS)

98%

So hoch ist der Anteil des Wassers, das auf der ISS wiederverwendet wird.

Nicht von dieser Welt

Verschollen im Weltraum? Von wegen! Auf der Internationalen Raumstation ISS darf kein Wasser verloren gehen, denn der Transport von Frischwasser ins All ist viel zu aufwendig. 98 Prozent des Wassers, das die Crew an Bord verbraucht, ausschwitzt oder als Urin ausscheidet, wird deshalb zurückgewonnen und zu Trinkwasser aufbereitet. Ein Entfeuchter fängt dafür die Feuchtigkeit aus Atemluft und Schweiß auf und leitet sie in ein komplexes Filtrationssystem. Beim Urin kommt ein spezieller Destillationsprozess zum Einsatz. Kürzlich ist es den Entwicklern gelungen, auch der dabei verbleibenden Urinsole noch das Wasser zu entziehen und so die Rückgewinnungsrate von 93 auf 98 Prozent zu steigern. Ach ja: Laut der verantwortlichen Ingenieurin ist das gereinigte Wasser auf der ISS sauberer als das, was wir auf der Erde trinken.

„Die Natur der Erde ist ein Kreislauf. Der einzige Ausweg für die Menschheit besteht darin, es der Natur gleichzutun und eine Kreislaufwirtschaft anzustreben.“

Prof. Seeram Ramakrishna,

Materialwissenschaftler und Kreislaufwirtschaftsforscher

84%

des jemals weltweit produzierten Stahls sind aufgrund von dessen Langlebigkeit und durch fortwährendes Recycling immer noch im Einsatz.

Er wächst und wächst

Kaum eine Industrie setzt bei der Produktion ihrer Materialien so viel Kohlendioxid frei wie das Bauwesen. Klimafreundliche Alternativen zu Zement und Beton werden deshalb dringend gesucht. Bambus ist in vielen Ländern Asiens und Südamerikas ein solcher Baustoff-Kandidat. Die am schnellsten wachsende Pflanze der Welt hat viele Vorteile: Sie vereint die Druckfestigkeit von Beton mit der Zugfestigkeit von Stahl. Schon nach vier Jahren ist sie erntereif. Eine Tonne Bambus bindet etwa 450 Kilogramm CO2. Und weil es ein Gras ist, treiben abgeschnittene Halme wieder neu aus. Industrielle Verfahren sind schon etabliert, in denen der Bambus in kleine Streifen geschnitten und verklebt wird. Eine der Herausforderungen auf dem Weg zum nachhaltigen Kreislauf: Es gibt noch keinen biobasierten Klebstoff. Prominente Beispiele für den Bambusbau sind die Dachverkleidung im Flughafen Madrid, das Hotel Jakarta in Amsterdam oder die Green School, eine internationale Schule auf Bali.

Bamboo

< 1%

der weltweit produzierten Kleidung wird zu neuen Fasern für die Textilindustrie aufbereitet. Zwei von drei Kleidungsstücken landen direkt im Müll. Aus ungefähr einem Zehntel werden Lappen und Dämmungen hergestellt.

Zeit, dass sich was dreht

Derzeit arbeitet die Wirtschaft linear: Immer mehr natürliche Ressourcen werden entnommen, Dinge daraus emissionsintensiv hergestellt und diese dann nach dem Konsum in den Müll geworfen. Damit betreibt die Menschheit jedoch Raubbau an der Erde. Klimawandel, Umweltverschmutzung, Artensterben, Rohstoffmangel und Wasserknappheit sind die Folge. Die Kreislaufwirtschaft hingegen hat das Ziel, Produkte und Materialien so lange wie möglich in Gebrauch zu halten sowie Stoff- und Energiekreisläufe zu schließen. Das schont Ressourcen und vermeidet Einflüsse auf die Natur. Diese kann sich wieder regenerieren.

Time for change
The value of things

Der Wert der Dinge

Unsere heutige Wegwerf- und Konsumgesellschaft existiert erst seit etwas mehr als 150 Jahren. Damals begann die industrielle Revolution: Die maschinelle Produktion ersetzte die handwerkliche. Dinge konnten so schnell und billig in großen Stückzahlen hergestellt werden. In den 1950er-Jahren befeuerte der Preisverfall des Erdöls den Trend zu Produkten, die nur noch kurz verwendet werden. Davor bestimmten jahrtausendelang Knappheit und Mangel den Umgang mit Gegenständen und Materialien. Um ihren Wert so lange wie möglich zu erhalten, wurden sie repariert, umgenutzt oder recycelt. 

Schon die Neandertaler haben vor 500.000 Jahren aus kaputten Feuersteinäxten neue, kleinere Werkzeuge hergestellt. 

Der Koloss von Rhodos zählt zu den sieben Weltwundern der Antike. Ein Erdbeben zerstörte um 226 v. Chr. die 30 Meter hohe Bronze-Statue. Überlieferungen zufolge kaufte ein Händler 900 Jahre später deren Bruchstücke und ließ sie einschmelzen.

Bis zur industriellen Revolution wurde Kleidung immer wieder geflickt. Abgenutzte Textilien wurden schließlich für die Papierherstellung verwendet oder aufgetrennt, um die Fäden für neue Kleider zu nutzen.

Kreislauflücke

Der Circularity Gap Report untersucht jedes Jahr, wie gut Rohstoffkreisläufe schon geschlossen sind. Spoiler: nicht so gut. Und es gibt eine große Lücke zwischen dem Darüber-Reden und konkreten Taten. So hat sich in den vergangenen fünf Jahren die Anzahl der Beiträge und Diskussionen zum Thema Kreislaufwirtschaft verdreifacht. Gleichzeitig stammten 2023 nur sieben Prozent der weltweit verbrauchten Rohstoffe aus dem Recycling – 2019 waren es noch neun Prozent. Das liegt unter anderem am weiter steigenden generellen Materialhunger. Heißt: Die Kluft zwischen zirkulärer und linearer Wirtschaft wird aktuell größer statt kleiner.

Circularity Gap Report