Was wichtig ist und wichtig bleibt
Klaus Endress übergibt seine Verantwortung als Verwaltungsratspräsident zum Jahreswechsel. Im Interview blickt er auf 45 Jahre im Unternehmen zurück – und spricht über seinen Werdegang, die Rolle der Familie und was er von der Natur gelernt hat.
Herr Endress, Ihr Weg ins Unternehmen war früh vorgezeichnet …
Es gab nie einen Masterplan für meine Entwicklung im Unternehmen, es gab immer nur Gelegenheiten … Opportunitäten.
Aber Sie haben sich schon als Jugendlicher für diesen Weg entschieden.
Mit 16 hatte ich einen Lehrvertrag unterschrieben. Den habe ich stolz meinem Vater gezeigt und auf ein Lob gehofft. Er aber hat mich gefragt, ob ich denn nicht lieber sein Nachfolger werden wollte. Das kam für mich völlig unerwartet. Einerseits hat mich dieses Vertrauen gefreut – andererseits war es eine große Verpflichtung für mich. Ich habe Ja gesagt. Aber ich habe nicht gewusst, auf was ich mich einlasse!
Auf was genau haben Sie sich denn eingelassen?
Zunächst einmal hat es bedeutet, dass ich studieren musste – etwas Technisches. Dafür habe ich erst einmal das Abitur benötigt. Nach zwei Semestern Elektrotechnik an der ETH Zürich habe ich dann an die TU Berlin gewechselt und dort Wirtschaftsingenieurwesen studiert. 14 Semester lang habe ich alles in meinen Kopf gepackt, von dem ich der Meinung war, dass es mir in meiner künftigen Verantwortung hilfreich sein könnte. Abgeschlossen habe ich mit einer Eins plus in Informatik. Zwei Jahre habe ich erste Berufserfahrung bei einer US-Firma gesammelt, dann bin ich in unsere amerikanische Niederlassung eingetreten. Zurück in Deutschland habe ich 1980 in Maulburg die Arbeitsvorbereitung übernommen und sie zum Industrial Engineering geformt, wie wir es heute kennen, und die Disposition integriert. 1983 bin ich nach Frankfurt, für den Vertrieb von Messwertregistriertechnik. Nach knapp einem Jahr bin ich zurück nach Maulburg und habe das Controlling übernommen, einschließlich der Informatik. 1987 hat mir mein Vater das Werk in Maulburg anvertraut, allerdings mit der Aufgabe, den deutschen Vertrieb, der dort damals noch integriert war, abzutrennen. Ab 1992 war ich dann auf der Corporate-Ebene für unsere Produktionszentren und das US-Geschäft verantwortlich, und Anfang 1995 bin ich schließlich CEO der Gruppe geworden. Man kann sagen, ich habe mich erst zehn Jahre lang außerhalb von Endress+Hauser und dann 15 Jahre lang innerhalb ausgebildet und auf meine Verantwortung als CEO vorbereitet.
War es ein Vorteil, der Sohn des Firmengründers zu sein?
Bei allen Aufgaben, die ich im Unternehmen übernommen habe, war der Tenor: Schauen wir mal … Fremde von außen wurden vorgestellt mit allem, was sie schon geleistet hatten. Ich musste immer wieder aufs Neue beweisen, dass ich etwas kann. Der Zähler wurde immer auf null gestellt. Ich hatte es bestimmt nicht leichter als andere!
Wie ist es Ihnen gelungen, aus dem Schatten Ihres Vaters zu treten?
Mit Fertigungstechnik und Informatik hatte ich intuitiv schon im Studium Felder besetzt, die meinen Vater weniger interessiert haben, die aber für den Erfolg des Unternehmens ebenso wichtig sind wie Markt, Kunden und Produkte. So konnte ich Fuß fassen, ohne meinem Vater zu sehr in die Quere zu kommen. Im Übrigen hatten wir ganz unterschiedliche Stärken. Er war Pionier. Er war in der Lage, aus nichts etwas zu schaffen. Das kann ich nicht! Ich brauche etwas, um daraus etwas Schöneres zu machen. Aber ich hatte nie das Gefühl, im Schatten meines Vaters zu stehen. Ich hatte immer genügend Sonne – und mit zunehmendem Erfolg habe ich mehr und mehr Anerkennung erhalten.
Was hat Ihnen den Mut und die Kraft gegeben, Ihren Weg bis zum Ziel zu verfolgen?
Ich wollte das Lebenswerk meines Vaters fortführen, das Unternehmen weiterentwickeln. Gesundes Wachstum und sichere Arbeitsplätze: Das war für mich immer der Antrieb. Ich habe nie daran gezweifelt und bin nie verzweifelt. Und ich habe nie aufgegeben. Das gilt nahezu für mein gesamtes Leben. Stets war mir das Wohl des größeren Ganzen wichtig. Dafür habe ich mich eingesetzt. Das hat allen gut getan, auch mir – bis heute. Ich würde das immer wieder tun!
Wie ist Ihre von der Natur inspirierte Unternehmensphilosophie entstanden?
Die Natur-Baum-Philosophie ist gewissermaßen aus der Not heraus entstanden. Warum? Bei wichtigen Entscheidungen benötige ich Sicherheit. Aber wer sagt mir, dass Entscheidungen richtig sind und bleiben? Menschen sind in ihrem Urteil nie unvoreingenommen. Mich hat die Natur inspiriert – das Beobachten von Wachstum und Veränderung in der Natur und meine Beschäftigung mit der Philosophie. Der Baum ist für mich dabei Sinnbild des Unternehmens. Betrachtet man Krone, Wurzeln und Stamm, wird klar: Wenn das Unternehmen erfolgreich sein soll, darf ich keinen Teil vernachlässigen; ich muss das ganze Unternehmen entwickeln. Andere wichtige Prinzipien sind: Gleiche Dinge auf die gleiche Weise zu tun, oder das Unterbinden von internem Wettbewerb.
Wie hat sich das im Unternehmen niedergeschlagen?
Die Entscheidung, auf eine einzige Unternehmenssteuerungs-Software zu setzen, später auch die IT der Gruppe in einer eigenen Einheit zu bündeln, das geht auf diese Gedanken zurück. Wir hatten im Vertrieb eine Reihe von Projekten, um interne Strukturen zu verschlanken und uns in Richtung Markt und Kunden zu verstärken. Das Ziel war mehr Umsatz bei gleichen Kosten. Oder das Entwickeln einheitlicher Produktplattformen: Heute lassen sich an unsere Messumformer für die Flüssigkeitsanalyse Sensoren für alle möglichen Parameter anschließen.
Wenn Sie zurückblicken: Welche Veränderungen und Entwicklungen waren besonders wichtig für die Firmengruppe? Worauf sind Sie stolz?
Die Internationalisierung der Produktion – der Aufbau von Werken in den USA, Indien, China und Brasilien – war ein wichtiger Schritt für die Gruppe. Er hat uns unabhängiger von Wechselkursentwicklungen gemacht und Wachstum über die Welt ermöglicht. Ein weiterer Markstein war die Ausrichtung auf die Life Sciences, verbunden mit dem Ausbau der Prozessanalyse und dem Eintritt ins Laborgeschäft mit Analytik Jena. Die ganze Bedeutung dieses Schrittes hat sich während der Pandemie gezeigt. Erfolgreich war auch die Öffnung unserer Memosens-Technologie für andere Anbieter. Davon profitieren alle – unsere Kunden, unsere Wettbewerber und wir
„Gesundes Wachstum und sichere Arbeitsplätze: Das war für mich der Antrieb. Ich habe nie daran gezweifelt. Und ich habe nie aufgegeben.“
Klaus Endress
Verwaltungsratspräsident der Endress+Hauser Gruppe
Wenn es so etwas gibt wie Ihr unternehmerisches Vermächtnis … Was ist wichtig über den Tag hinaus, an dem Sie das Unternehmen verlassen, was muss bewahrt werden?
In der Natur hat alles einen Sinn. Der Sinn unseres Unternehmens ist es, Kunden darin zu unterstützen, ihre Produkte zu verbessern und noch effizienter herzustellen. Dieser absolute Fokus auf Markt und Kunden ist immer richtig. Dem müssen wir konsequent und ohne Kompromisse folgen, denn was sinnvoll ist, muss sinnvoll bleiben. Wie in der Familie sind der Zusammenhalt und das Pflegen von Gemeinsamkeiten wichtig im Unternehmen. Wir müssen gut miteinander umgehen; niemand darf sich über den anderen erheben. Deshalb ist es oberste Aufgabe des Gruppenmanagements, sicherzustellen, dass grundlegende Regeln und Vorgehensweisen ihre Gültigkeit behalten und gelebt werden: Unsere Vision und Mission, der Spirit of Endress+Hauser, die Strategie der Firmengruppe … Dazu braucht es in allen Einheiten eine Spitze, eine Elite, die weltweit netzwerkt, innerhalb und außerhalb des Unternehmens. All dies hält uns auf Kurs, macht uns erfolgreich und hilft uns in unsicheren Zeiten.
Freier Welthandel, sicherheitspolitische Stabilität, günstige Energie – viele positive Entwicklungen, von denen Endress+Hauser in der Vergangenheit profitiert hat, scheinen derzeit ins Negative zu drehen. Stehen wir tendenziell vor schwierigeren Jahren?
Wenn Sie diese Frage 2009 gestellt hätten, mitten in der Weltwirtschaftskrise, wäre ich sehr zurückhaltend gewesen mit einer Antwort. Niemand hat damals vorhergesehen, dass die Lage 2010 wie ausgewechselt sein würde und die Aufträge wieder in die Höhe schießen. Seither hat uns fast jedes Jahr unvorhersehbare Ereignisse beschert: Der Arabische Frühling, das Atomunglück von Fukushima, die Überschwemmungen in Thailand, der Aufstieg der Populisten, die Coronavirus-Pandemie, der Angriff auf die Ukraine … Alle diese Ereignisse haben unser Geschäft substanziell beeinflusst – aber alle haben wir sie bewältigt. Wir hatten, mit wenigen Ausnahmen, beste Jahre mit mehr Auftragseingang, Nettoumsatz, Gewinn und Beschäftigung. Im Rückblick sieht es aus, als wäre das leicht gewesen. Aber natürlich mussten wir uns dafür anstrengen. Jetzt ist die Rede davon, dass die Globalisierung zurückgedreht wird. Aber das Handelsvolumen wächst, unsere Kunden investieren, und auch wir bauen unsere Standorte aus. Natürlich sind Dinge in Bewegung, zum Beispiel um die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Wichtige Teile sollten nicht nur aus einer einzigen Quelle bezogen werden. Hier werden sich Wertschöpfungsketten ändern. Aber deshalb ist die offene Welt noch lange nicht abgesagt. Wir werden weiter Wachstum erleben. Mit den richtigen Leuten und der richtigen Einstellung können wir auch in Zukunft gut und erfolgreich sein. Gemeinsamkeiten und Zusammenhalt: Je besser uns das gelingt, desto besser geht es dem Unternehmen. Wenn wir uns einig sind und zusammenstehen, sind wir unschlagbar!
Ein wichtiger Anker für das Unternehmen ist die Familie. Was ist nötig, damit das Familienunternehmen Bestand hat?
Familienunternehmen entwickeln sich im Vergleich zu börsennotierten Firmen entweder deutlich besser oder wesentlich schlechter. Nur eines sind sie nicht: durchschnittlich. Den Unterschied macht die Familie – ob sie sich einig ist oder nicht. Unsere Familiencharta fördert Gemeinsamkeiten und Zusammenhalt mit festen Institutionen und klaren Prinzipien. Diese Regeln müssen gelebt werden. Eine meiner wichtigsten Erkenntnisse ist, dass Unternehmen und Familie die gleichen Strukturen brauchen. Deshalb haben wir den Familienrat, eine Art Executive Board der Familie, oder eben die Familiencharta, in der wir auch eine Vision niedergeschrieben haben und die Werte, die uns wichtig sind.
„Ich gebe keine Ratschläge, wenn ich nicht gefragt werde. Aber ich bin immer da, wenn jemand meinen Rat wünscht.“
Klaus Endress
Verwaltungsratspräsident der Endress+Hauser Gruppe
Was bedeutet es, dass kein Mitglied der Familie mehr operativ im Unternehmen tätig ist?
Für die Verbundenheit mit dem Unternehmen ist das nicht entscheidend. Natürlich ist eine Mitarbeit im Unternehmen schön! Aber dafür müssen Mitglieder der Familie das mitbringen, was wir auch von Dritten verlangen. Wichtig ist, dass die Familie Verantwortung trägt für das Unternehmen. Dafür muss man nicht operativ sein – aktiv aber schon. Und es gibt viele Möglichkeiten, aktiv zu sein im Unternehmen, ohne eine operative Aufgabe zu übernehmen, etwa im Verwaltungsrat oder als Ambassador, also als Botschafter der Familie. Dieser Kreis wird sich erweitern in den nächsten Jahren. Und vielleicht erwächst daraus auch wieder Interesse, eine operative Rolle zu übernehmen. Es gibt immer wieder gute Leute, die nachkommen, in der Familie und im Unternehmen.
Sie verlassen den Verwaltungsrat, bleiben aber Vorsitzender des Familienrats und natürlich Gesellschafter von Endress+Hauser. Wo und wie werden wir Sie noch im Unternehmen erleben?
Ab Januar werde ich nicht mehr in der Funktion des Verwaltungsratspräsidenten sein – aber ich werde immer noch da sein. Mit meiner Persönlichkeit werde ich immer noch wirken. Und als Vorsitzender des Familienrats werde ich sichtbar sein. Ich werde mein Büro hier im Haus behalten und über das Geschehen im Unternehmen auf dem Laufenden bleiben, denn eine meiner Aufgaben ist es, den Informationsfluss zur Familie aufrecht zu erhalten. Aber ich freue mich auch, weniger getrieben zu sein, zur Ruhe zu kommen und mehr Zeit zu haben für meine Frau und meine Kinder – in der Hoffnung, noch lange gesund zu bleiben.
Ein Wort zum Schluss … Welchen Ratschlag für die Zukunft würden Sie uns gerne ans Herz legen?
Ratschlag – das Wort trägt ja schon den „Schlag“ in sich! Genauso können ungebetene Ratschläge wirken, und wenn sie noch so gut gemeint und wertvoll sind. Deshalb gebe ich keine Ratschläge, wenn ich nicht gefragt werde. Aber ich bin immer da, wenn jemand meinen Rat wünscht
Die Natur als Vorbild
In der Natur schöpft Klaus Endress Kraft und entwickelt er seine Gedanken. Er sagt: „Die Natur hat sich über dreieinhalb Milliarden Jahre entwickelt und fortwährend angepasst. Ihre erfolgreichen Prinzipien sind für mich eine Inspiration für unternehmerisches Handeln.“ Viele Erkenntnisse leitet Klaus Endress vom Baum als Sinnbild des Unternehmens ab. Von der Natur beeinflusst ist auch sein menschenzentrierter Ansatz.
„Kunden, Mitarbeitende und Gesellschafter machen das Unternehmen aus“, sagt er. „Je besser sie miteinander umgehen, desto besser geht es unserem Unternehmen. Und am besten ist der vertrauensvolle und loyale Umgang.“ Respekt, Qualität und gegenseitiger Nutzen bilden dafür die Grundlage: Die Kunden erhalten erstklassige Produkte, Lösungen und Services. Für die Mitarbeitenden bedeutet es sichere, gut entlohnte Arbeitsplätze. Und die Gesellschafter können stolz sein auf das Unternehmen und bekommen eine angemessene Dividende.
Veröffentlicht am 19.10.2023, zuletzt aktualisiert am 27.10.2023.
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