Sprung nach vorn

Krisen nicht nur überstehen, sondern gestärkt aus ihnen hervorgehen. In anderen Worten: Resilient sein. Das wollen alle Unternehmen. Doch wie schaffen sie das? Was bedeutet der Begriff „Beidhändigkeit“ in diesem Zusammenhang? Und welche Auswirkungen hat der sogenannte „Bounce-forward“-Effekt? In ihrer Forschung sucht Innovationsexpertin Marion A. Weissenberger-Eibl Antworten darauf.

Aufgezeichnet von André Boße
Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl

STANDPUNKT

Streng nach Wortsinn steht Resilienz für die Fähigkeit, nach Belastungen oder Störungen ins Ausgangsstadium „zurückzuspringen“. Die häufig benutzte Metapher der „Stehauffigur“ ist also durchaus stimmig. Für ein Unternehmen beschreibt sie die Fähigkeit, lang­fristig zu prosperieren und sich immer wieder aufzurichten, egal in welche Richtung gebogen oder ­gezogen wird.

Aktuell entwickelt sich das Resilienz-Konzept weiter. Das Ziel ist nicht mehr die Rückkehr in den Zustand vor einem Schockereignis. Es geht vielmehr darum, sich als Unternehmen dem Wandel anzupassen. ­Einem Wandel, der in unserer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt kontinuierlich
geworden ist – mit der Folge, dass sich die Umwelt­bedingungen und Ansprüche der Stakeholder ­ständig verändern. Wenn wir heute von Resilienz sprechen, dann reden wir also nicht mehr von „bounce back“, also dem Zurückspringen in den alten Zustand. Sondern von „bounce forward“, dem Sprung nach vorn.
Wie das gelingt? Schauen wir auf die Charakter­eigenschaften resilienter Menschen. Sie besitzen die Fähigkeit, Probleme gründlich zu analysieren, Emotionen und Impulse gut zu steuern. Darüber hinaus sind sie überzeugt, durch ihr eigenes Handeln die Dinge verändern zu können. Hinzu kommen realistischer Optimismus, Empathie und Zielorientierung. Zwar lassen sich diese Charaktereigenschaften nicht ohne Weiteres auf Organisationen übertragen. Jedoch helfen sie uns, zu erkennen, was ein resilientes Unternehmen auszeichnet.

Sich als Organisation mit Resilienz auseinander­zusetzen, ist auch eine Frage der Haltung. Das Unternehmen beschäftigt sich mit Szenarien, von denen
es nicht weiß, ob sie überhaupt eintreffen werden. Das kostet Ressourcen. Auf den ersten Blick scheinen
Effizienz und Resilienz sogar natürliche Gegenspieler zu sein. Und doch: Resilienz zu einer Kerneigenschaft der Organisation zu entwickeln, ist ein wichtiger Schritt in der strategischen Zukunftsplanung. Denn Resilienz bewirkt ein besseres Risikomanagement – und unterstützt damit den langfristigen Unternehmenserfolg.
Krisen betreffen in erster Linie die Menschen, die in einer Organisation arbeiten. Der Aufbau von Resi­lienz benötigt daher eine Unternehmenskultur, die die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ernst nimmt, aber gleichzeitig ermutigt, gemeinsam einen Weg aus der schwierigen Situation zu finden. Eine solche ­Unternehmenskultur fördert den Zusammenhalt und entwickelt ein positives Narrativ der Zukunft. In ­dieser Hinsicht – Studien belegen das – können kleinere und mittlere Familienunternehmen resilienter als große Konzerne sein. Sie profitieren dabei von der Erfahrung, in unsicheren Phasen richtige Entscheidungen getroffen zu haben.

Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl leitet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsfor­schung (ISI) und hat den Lehrstuhl für Innovations- und Technologiemanagement am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) inne.

„Krisen betreffen in erster Linie die Menschen, die in einer Organisation arbeiten.“

Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl

Es ist für Unternehmen unbedingt lohnenswert, diesen Vorteil zu nutzen und weiter in Resilienz zu investieren. Ein Stichwort ist hier die Ambidextrie – zu Deutsch Beidhändigkeit. Wir verstehen darunter zum einen die Fähigkeit von Unternehmen, bekannte Potenziale auszuschöpfen („Exploitation“) – zum Beispiel, indem sie bereits existierende Pro­zesse und Produkte effizient weiterentwickeln. Zum anderen sind beidhändige Unternehmen gleichzeitig in der Lage, disruptive Innovationen zu entwickeln oder neue Potenziale zu erschließen („Exploration“).

Beidhändige Unternehmen verstehen sich auf beide Methoden: Sie reagieren nicht nur angemessen auf drastische Veränderungen, Schocks und Krisen, sondern besitzen darüber hinaus die Fähigkeit, mit Hilfe des „Bounce-forward“-Effekts der Resilienz ­einen Schritt nach vorne zu machen.