Kein Ende in Sicht

Endress+Hauser kann in hundert Jahren noch blühen – und die Familie Verantwortung tragen, ohne selbst im Unternehmen aktiv zu sein: Verwaltungsratspräsident Klaus Endress und CEO Matthias Altendorf über Vergangenheit und Zukunft des Familienunternehmens.

Fragen: Martin Raab, Alexander Marzahn
Fotografie: Andreas Mader
Matthias Altendorf and Klaus Endress

Herr Endress, Endress+Hauser ist eben 70 Jahre alt geworden. Altert ein Unternehmen wie ein Mensch – oder gibt es ein Elixier, das eine Firma jung und kräftig erhält?

Endress: Wir Menschen werden hoffentlich alt, aber uns sind biologische Grenzen gesetzt. Bei Unternehmen ist das anders. Ich beschreibe sie gerne als eine Ansammlung vieler schöner Dinge: Gebäude wie jenes, in dem wir sitzen, Anlagen, Produkte, Abläufe, Strategien … alles, was man in einem Unternehmen braucht. Aber es sind nur Dinge. Sie bewegen sich nicht von selbst, sie werden bewegt durch Menschen – nämlich durch die Kunden, die Mitarbeitenden und die Gesellschafter. Wenn diese gut miteinander arbeiten und auskommen, geht es auch dem Unternehmen gut. Kunden, Mitarbeitende und Gesellschafter werden ebenfalls älter, und andere, jüngere Menschen folgen ihnen nach. Das geht immer so weiter, und genau deswegen hat das Unternehmen keine Altersgrenze.

 

Was braucht es, damit das so funktioniert?

Endress: Wichtig sind die Gesellschafter – die Familie. Sie muss sich einig sein. Dafür müssen Gemeinsamkeiten und Zusammenhalt gepflegt werden. Deshalb haben wir uns schon 2006 eine Familiencharta gegeben mit gemeinsam definierten Regeln für das Miteinander in der Familie und im Verhältnis zum Unternehmen. Verschiedene Institutionen sorgen dafür, dass das Werk lebendig bleibt, lebt.

 

Herr Altendorf, Endress+Hauser legt auch für 2022 gute Zahlen vor – trotz angespannter Liefer- und Logistikketten, trotz Energiemangel und Krieg in Europa, trotz Inflation und Zinsanstieg in vielen Ländern. Was steht hinter diesem Erfolg?

Altendorf: Es sind die Dinge, die uns schon in der Vergangenheit erfolgreich gemacht haben: Zum einen unsere Mitarbeitenden, die engagiert, kompetent und flexibel mit allen Herausforderungen umgehen. Zum anderen sind es die leistungsfähigen Strukturen, die wir über viele Jahre und Jahrzehnte aufgebaut und weiterentwickelt haben. Beides hat es uns ermöglicht, trotz aller Widrigkeiten erfolgreich zu arbeiten und lieferfähig zu bleiben.

 

Was ist notwendig, damit sich das Unternehmen auch in Zukunft gut ­entwickeln kann?

Altendorf: Das ist wie bei jedem Team, das erfolgreich sein will: Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wir beeinflussen können – nahe an den Kunden bleiben, innovative Produkte entwickeln, hervorragende Produktions- und Logistiknetzwerke unterhalten. Unsere Unternehmenskultur hilft uns dabei. Und heute, mit den Erfahrungen der Pandemie, würde ich noch betonen, dass das Wir wichtiger ist als das Ich. Der Zusammenhalt macht uns wettbewerbsfähig.

Bindeglied zur Familie

Dr. h. c. Klaus Endress (Jahrgang 1948) hat ein Studium als Diplom-Wirtschaftsingenieur an der Technischen Universität Berlin absolviert. Er trat 1979 ins väterliche Unternehmen ein und übernahm 1995 die Leitung der Firmengruppe. 2014 wechselte er als Präsident in den Verwaltungsrat. Klaus Endress ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Wann immer möglich, zieht es den passionierten Reiter und Mountainbiker in die Natur, häufig begleitet von Hündin Maya.

„Das Gefühl der Verantwortung, der Spirit of Endress+Hauser, das Wissen über unser Geschäft und die Produkte: Das muss weiterleben in den Köpfen der Familie Endress.“

Klaus Endress

Verwaltungsratspräsident der Endress+Hauser Gruppe

Klaus Endress

Wenn Sie zehn Jahre zurückblicken, was hat sich seitdem am stärksten verändert?

Endress: Damals war unser strategischer Fokus auf die Biotechnologie noch neu. Während der Finanzkrise war das die einzige Branche, die weiter geboomt hat. Aber wir waren dort ein Niemand. Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht. Wir haben das Arbeitsgebiet Analyse gestärkt und Kompetenz in der komplexen Analyse aufgebaut. Und wir haben viel gelernt über die Branche und die Prozesse. Das alles war harte Arbeit. Aber sie hat sich gelohnt. Das ist in der Pandemie sichtbar geworden. In allen Anlagen für Corona-Impfstoffe sind unsere Produkte dominant vertreten. Wir sind heute jemand in der Biotechnologie! Außerdem hat sich im Vergleich zu früher die ­Zusammenarbeit im Unternehmen wesentlich verbessert. Da hat Herr Altendorf Dinge erreicht, die mir nicht mehr gelungen sind …

Altendorf: … bei mir werden es andere Themen sein, an denen ich gearbeitet habe, aber die ich nicht zu Ende bringen kann.

Endress: Auch vom Ziel, als ein Unternehmen aufzutreten, waren wir noch deutlich entfernt. Das wird hoffentlich jetzt ganz gelingen. Ja, es ist eine Menge geschehen in den letzten zehn Jahren – und das ist auch gut so!

 

Endress+Hauser ist im gleichen Zeitraum stark gewachsen. Wie ist das gelungen?

Altendorf: Wir haben das Gute der Vergangenheit einfach immer weiter­entwickelt. Die wesentlichen Strukturen sind ja unverändert geblieben. Vieles war gewissermaßen schon vorgespurt. Ich habe Dinge vielleicht verfeinert, noch einmal neu durchdacht oder andere Ansätze eingebracht. Aber die Erfolgsfaktoren sind dieselben.

 

Welche sind das?

Altendorf: Die Kundennähe war immer eine Stärke von Endress+Hauser. Die Digitalisierung hat die Perspektive auf das Thema erweitert, aber der Grundsatz ist unverändert. Unser Angebot zeichnet sich auch seit jeher durch hohe Qualität und innovative Produkte aus. Den Vertrieb haben wir früh internationalisiert, später in wichtigen Regionen vertrieblichen Support etabliert. Ab Mitte der 90er-Jahre haben wir die Produktion internationalisiert – aus der Region, für die Region. Das ist sicher ein wichtiger Erfolgsfaktor. Außerdem ist es uns trotz des Wachstums gelungen, auch kleinere Unternehmen gut in die Gruppe zu integrieren. Das ist möglich, weil wir den Menschen Vertrauen schenken und weil sie Vertrauen in uns haben. Und das bekommt man über gute Führungskultur und gute Führungskräfte hin.

 

Sie haben jetzt vieles aufgezählt … Was zeichnet Endress+Hauser gegenüber anderen Unternehmen aus?

Altendorf: Man muss jedes Unternehmen für sich betrachten und auch das Ökosystem, in dem es sich bewegt. Aber ich bin überzeugt: Eine hervorragende Firmenkultur und eine gelebte Nähe zu den Kunden sind immer grundlegend für den Erfolg eines Unternehmens, unabhängig von Branche und Region. Wir haben bei Endress+Hauser immer die Menschen in den Mittelpunkt ­gestellt. Ein Unternehmen besteht aus Menschen, und diese Menschen machen den Unterschied. Das alles steckt seit 70 Jahren in diesem Unternehmen. Dahinter stehen jahrzehntelange Arbeit und hohe Investitionen – in Menschen, Gebäude, Systeme, Netzwerke … Das kann niemand einfach so kopieren. Bei Endress+Hauser können wir vieles gut machen, weil wir Eigentümer haben, die in langen Linien denken. Die dem Unternehmen Wissen, Wärme, Werte und auch Schutz bieten. Und die Respekt zeigen vor der Leistung der Menschen.

Im Unternehmen verwurzelt

Matthias Altendorf (Jahrgang 1967) hat seine Karriere bei Endress+Hauser mit einer Lehre als Mechaniker begonnen, an die sich Studium, Auslandsaufenthalt und Weiterbildung anschlossen. 2009 wurde er ins Executive Board berufen, 2014 übernahm er die Leitung der Firmengruppe. Ausgleich findet Matthias ­Altendorf beim Segeln, im Schachspiel, auf dem Motorrad und bei der Wald­arbeit. Reisen, Kunst und Lesen sind weitere Hobbys. Matthias Altendorf ist verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes.

„Eine hervorragende Firmenkultur und eine gelebte Nähe zu den Kunden sind immer grundlegend für den Erfolg eines Unternehmens, unabhängig von Branche und Region.“

Matthias Altendorf

CEO der Endress+Hauser Gruppe

Matthias Altendorf

Wichtig für ein Unternehmen sind auch die Personen an der Spitze. Herr Endress, Sie haben einmal gesagt, dass Sie Ihre Sache dann erst gut gemacht haben, wenn Sie einen guten Nachfolger haben. Gilt das auch, wenn Sie zum Jahresende den Verwaltungsrat verlassen?

Endress: Mit meinem Nachfolger als CEO, der ein guter Nachfolger war und ist, hat das wunderbar funktioniert. Aber dann ist da immer die Frage: Wie geht
es weiter? Ich weiß seit zehn Jahren, dass ich mit Erreichen der Altersgrenze von 75 einen guten Nachfolger brauche. Ich habe viel darüber nachgedacht und meinen Wunschkandidaten gefunden: Matthias Altendorf. Er kennt unser Unternehmen seit 35 Jahren. Seit fast einem Jahrzehnt führt er die Firmengruppe mit Umsicht und Erfolg. Und er steht für die Werte, die Endress+Hauser ausmachen. Wir haben über viele Jahre gut zusammengearbeitet und vertrauen einander. Deshalb bin ich froh, dass Herr Altendorf diesem Schritt zugestimmt hat, in den Verwaltungsrat einzutreten und dort das Präsidium zu übernehmen.

 

Das war aber nicht allein Ihre Entscheidung …

Endress: Ja, das darf auch nicht sein. Die Entscheidung ist im Kreis des ­Familienrats gefallen, in gutem Einvernehmen mit den Gesellschaftern, dem Verwaltungsrat sowie der gesamten Familie. Dem sind viele Überlegungen und Gespräche vorausgegangen. Das hat sich über die Zeit entwickelt.

 

Das heißt aber auch, dass eine neue Lücke gefüllt werden muss …

Endress: Interne Nachfolgen haben den Vorteil, dass wir die Menschen gut kennen, häufig über viele Jahre. Das senkt das Risiko. Der Nachteil ist, dass sich Lücken auftun, die wir wieder schließen müssen. Und Herr Altendorf reißt eine große Lücke. Der Chef der Gruppe trägt die operative Verant­wortung. Das ist eine große Last. Endress+Hauser ist ein technikorientiertes Unternehmen. Deshalb muss der CEO nicht nur Betriebswirtschaft beherrschen, sondern auch unsere Technologien verstehen und unsere Märkte kennen. Schließlich muss er sehen, wo sich neue Möglichkeiten auftun und wir zusätzliche Kunden finden können. In diese Rolle hineinzuwachsen, ist anspruchs­voll. Aber mit Herrn Altendorf war ich einer Meinung, dass wir das einer Person zutrauen: dem Chef unseres Kompetenzzentrums für Füllstands- und Druckmesstechnik, Dr. Peter Selders. Er führt eine unserer größten Aktivitäten, die weltweit verankert ist, seit Jahren mit Erfolg. Und auch er ist bereit.

Altendorf: Ich bin zutiefst überzeugt: So, wie wir diese Nachfolge geregelt haben, ist es vorbildlich. Wir haben uns immer wieder intensiv mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Wenn uns das jetzt noch einmal so gut gelingt, wie uns das beim Übergang von Herrn Endress auf mich gelungen ist, dann haben wir beide alles richtig gemacht …

Endress: … und dem Unternehmen gutgetan.

 

Was bedeutet diese Entscheidung für Sie, Herr Altendorf?

Altendorf: Ein wichtiger Aspekt für mich ist: Ich kann jetzt, wenn die Gesundheit mitmacht, noch einmal zwölf Jahre lang helfen, dieses Unternehmen in die nächste Generation zu begleiten. Mit all meinem Wissen, Können und Einsatz. Und dann tragen hoffentlich die jungen Familienmitglieder und eine neue Management-Generation diese Gedanken weiter.

Matthias Altendorf and Klaus Endress Discussion

Was bedeutet der Wechsel im Verwaltungsratspräsidium für die Familie?

Altendorf: Auch wenn der Präsident kein Mitglied der Familie ist, sollen im Verwaltungsrat immer zwei Vertreter der Familie sitzen. Damit kann die Familie weiter gestaltend und prägend auf das Unternehmen einwirken. Niemand kann die Familie besser im Verwaltungsrat vertreten als die Familie selbst.

Endress: Steven Endress, der ältere Sohn meines ältesten Bruders, wird die Verantwortung für Endress+Hauser Großbritannien übergeben und sich künftig im Verwaltungsrat engagieren. Es ist schade, dass er das operative Geschäft verlässt, denn er hat seine Sache gut gemacht. Aber natürlich freuen wir uns, dass er in den Verwaltungsrat geht. Auch dort kann er seine operative Erfahrung einbringen.

 

Was heißt es, wenn kein Familienmitglied mehr im eigentlichen Geschäft mitarbeitet?

Endress: Die Gesellschafter müssen immer Verantwortung für das Unternehmen tragen. Sie müssen dafür nicht im Unternehmen operativ tätig sein … aktiv aber schon! Das Gefühl der Verantwortung, der Spirit of Endress+Hauser, das Wissen über unser Geschäft und die Produkte: Das muss weiterleben in den Köpfen der Familie Endress. Neben Sandra Genge und Steven Endress hat sich auch meine Tochter Sarah auf den Weg gemacht. Die drei sind unterschiedlich weit auf diesem Weg; Sandra und Steven als Verwaltungsräte, Sarah als Präsidentin der Georg H. Endress Stiftung. Sie sollen mehr und mehr in das Unternehmen hineinwachsen, an Events teilnehmen, für unsere Mitarbeitenden sichtbar und ansprechbar sein – und als Ambassador die Fackel weitertragen. Und es werden weitere Mitglieder dazustoßen. Möglicherweise findet sich aus diesem Kreis dann wieder jemand für eine operative Rolle. Das Buch ist noch aufgeschlagen!

 

Dann lassen Sie uns noch einmal nach vorn schauen … In den Nachrichten ist viel von Krise die Rede. Wie zuversichtlich gehen Sie ins Jubiläumsjahr, Herr Altendorf?

Altendorf: Ich bin immer zuversichtlich! Und wir können auch zuversichtlich sein. Wir hatten ein gutes Jahr 2022, und wir haben viele Bestellungen für das laufende Jahr. Natürlich werden Inflation und Zinserhöhungen irgendwann zu konjunktureller Abkühlung führen. Vieles wird davon abhängen, wie schnell der chinesische Markt sich von den Folgen der Pandemie erholt und wie stark die Zinserhöhungen die amerikanische Wirtschaft treffen. Sobald diese beiden Lokomotiven wieder Fahrt aufnehmen, wird die Weltkonjunktur anziehen. Was wie ein Nebel über Europa hängt, ist der Krieg in der Ukraine. Wir müssen abwarten, was sich daraus entwickelt. Wir können nur beeinflussen, was in unseren Händen liegt: Kundennähe, innovative Produkte, gute Logistik … Wir haben viel investiert und werden das weiter tun. Wir sind auf Wachstum programmiert!

 

Sie teilen diese Zuversicht, Herr Endress?

Endress: Selbstverständlich! Natürlich fragen wir uns nach so vielen erfolgreichen Jahren in Reihe, ob wir das noch einmal toppen können. Anderen Unternehmen geht es auch nicht schlecht. Aber nicht vielen geht es so gut wie Endress+Hauser. Das ist schon besonders! Dieses Jahr wird uns sicher der Auftragsbestand helfen. Und dann müssen wir, wie Herr Altendorf sagt, flexibel und kundenorientiert auf das aufbauen, was wir gut gemacht haben in der Vergangenheit. Auf Dauer wird das aber nicht reichen, da brauchen wir neue Kunden. Die brauchen wir immer wieder aufs Neue … wir müssen sie nur finden! Überlegungen und Chancen dazu gibt es aber viele. Da bin ich sehr zuversichtlich. Ich sage in meinen Vorträgen immer: In hundert Jahren wird uns die Arbeit – gut bezahlte Arbeit – nicht ausgehen, solange wir unseren Fokus auf Markt und Kunden bewahren und uns immer weiter verbessern. Dann sehe ich überhaupt kein Ende!