Hochspannung aus dem Nichts
Wenn andere Füllstand-Sensoren an ihre Grenzen stoßen, kommt die Radiometrie zum Einsatz. Simon Weidenbruch hat Gammapilot von Endress+Hauser neue Energie verliehen.
Radiometrische Füllstandsmessgeräte sind Exoten. Sie werden immer dann gebraucht, wenn andere Messverfahren kapitulieren: In besonders schwierigen Anwendungen oder harscher Umgebung. Mit über 1.000 Elektronikbauteilen war Gammapilot M FMG60 einer unserer komplexesten Füllstand-Sensoren. Ein Kristall-Szintillator wandelt die Gammastrahlen in blaues Licht um, das in einer Photomultiplier-Röhre in ein elektrisches Signal umgeformt, verstärkt und vom Sensor ausgewertet wird: je mehr Gammastrahlung, umso tiefer der Füllstand oder umso geringer die Dichte.
Die Verstärkung des Signals in der Röhre benötigt Hochspannung von über 1.000 Volt. Schon 2009 haben wir unsere alten Geiger-Müller-Zähler durch ein stromsparenderes Prinzip ersetzt. Ich habe mir überlegt: Könnten wir das nicht auch mit der Röhre hinbekommen? Und begonnen, systematisch zu erforschen, wie sich Hochspannung mit möglichst wenig Energie erzeugen lässt.
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der Elektronikbauteile seines Vorgängers FMG60 braucht der Gammapilot FMG50 nur
Verbesserung um den Faktor 20.000
Anfänglich war es ein „Freitagnachmittags-Projekt“ – ein wöchentliches Zeitfenster, das wir für das freie Arbeiten haben. 2010 ist dann der Durchbruch gelungen: Ich konnte einen Prototyp präsentieren, der Hochspannung quasi aus dem Nichts erzeugt – statt mit 800 Milliwatt mit nur 40 Mikrowatt! Dabei habe ich ausgenutzt, dass die Röhre durch ihr Vakuum nahezu keine Leitfähigkeit hat, also die Spannung quasi erhalten bleibt. Als ich das Prinzip vorgestellt habe, wollte erst gar niemand glauben, dass das möglich ist: ein Gammapilot als Zweileiter-Kompakttransmitter!
Eine Knacknuss war, die Spannungsschwankungen, welche Temperaturunterschiede mit sich bringen, auf wenige Volt zu minimieren. Wir können die Spannung der Photomultiplier-Röhre nämlich nicht direkt messen, ohne dabei Energie zu verlieren. Doch wir haben eine Methode gefunden, sie über die Messdaten zu ermitteln und über den Mikrocontroller auszubalancieren. 2016 hatten wir alle Skeptiker überzeugt: das Gerät ging in die Entwicklung.
Weniger Komplexität, mehr Varianz
Gammapilot FMG50 braucht nur ein Drittel der Elektronikbauteile seines Vorgängers, was die Sicherheitsbewertung für SIL-Anwendungen erheblich verbessert. Bezüglich Messperformance war FMG60 genauso gut – aber halt ein richtiges Schwergewicht. Er hat für den Explosionsschutz eine galvanische Trennung der Stromkreisläufe benötigt. Dank des Zweileiter-Standards fällt das weg, ebenso die sehr teure Ex-D-Verkabelung. Damit ist das Gerät aus Sicht unserer Kunden noch besser geworden.
Dazu können wir viele Komponenten wie Gehäuse oder Displays von der neuen Zweileiter-Plattform übernehmen. Der Exot ist nun also in der gleich hohen Varianz verfügbar wie unsere Massenprodukte. Und da unsere Technologie nun patentiert ist, dürfen sich unsere Wettbewerber die Zähne daran ausbeißen!
Simon Weidenbruch (45) arbeitet als Experte Systemarchitektur bei Endress+Hauser Level+Pressure im süddeutschen Maulburg.
Veröffentlicht am 01.01.2020, zuletzt aktualisiert am 20.06.2022.
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