Hand in Hand
Krisen, Kriege, Pandemien: Lieferketten stehen vor enormen Herausforderungen. Es gilt, sich mutig darauf vorzubereiten, sagt Robert Friedmann, Sprecher der Konzernführung der Würth-Gruppe. Mit Endress+Hauser Verwaltungsratspräsident Matthias Altendorf diskutiert er, welche Vorteile Familienunternehmen hierfür mitbringen und warum es am Ende auf den Menschen ankommt.
Herr Friedmann, wann haben Sie zuletzt in der Würth-Gruppe ein echtes Problem mit der Lieferkette gehabt?
Friedmann: Wir erleben immer wieder Engpässe bei verschiedenen Werkstoffen, insbesondere bei Kunststoffen und Metallen. Die für uns spannende Frage ist: Woran liegt das? Das Problem aus unserer Sicht ist, dass viele Unternehmen zu früh und zu schnell in die Kapazitäten eingreifen. Das war insbesondere in der Coronakrise der Fall, da haben auch viele unserer Lieferanten auf die Bremse getreten und ihre Bestände massiv reduziert. Das Problem war nur, dass es danach bis zu drei Jahre gedauert hat, bis man sich von einem harten Cut wieder erholt hatte. So entstehen Engpässe auch noch dann, wenn die auslösende Krise vorbei ist.
Wie war denn Ihre Reaktion auf die Coronakrise und den damit verbundenen Einbruch der Märkte?
Friedmann: Wir haben uns in dieser Phase von einem Volkswirt beraten lassen, der sagte: „Dieser Lockdown wird nicht ewig gehen. Haltet durch!“ Das hat sich nicht auf allen Ebenen realisieren lassen, aber wir hatten die Ambition, einen möglichst langen Atem zu haben. Und das hat sich am Ende ausgezahlt. Wir sind gut durch die Coronakrise gekommen, weil unsere Produkte für die Kunden verfügbar geblieben sind. Wobei man sagen muss: Als familiengeführtes Unternehmen besitzen wir die Finanzkraft, die für diesen langen Atem nötig ist.
Herr Altendorf, wie kann sich ein Unternehmen wie Endress+Hauser auf Probleme in der Lieferkette vorbereiten?
Altendorf: Es gibt Ereignisse, auf die man sich kaum vorbereiten kann. Zum Beispiel, dass wegen einer Pandemie Häfen in China geschlossen werden. Oder dass im Suezkanal ein Containerschiff quer steht. Aber es gibt Maßnahmen, die man ergreifen kann, um Risiken zu minimieren und damit die Resilienz der Lieferkette zu erhöhen. Zum Beispiel setzen wir bei allen Vorprodukten nicht nur auf einen Lieferanten, sondern auf mehrere in unterschiedlichen Wirtschaftsräumen. Hinzu kommt, dass wir unsere Lager nicht finanztechnisch optimieren, sondern kundentechnisch ideal führen. Und ich stimme Herrn Friedmann zu: Hier haben Familienunternehmen Vorteile gegenüber börsennotierten Konzernen.
Friedmann: In meinen Augen ist klar, dass die Dichte der Krisen in den nächsten Jahren nicht geringer werden wird. Wir müssen uns an Störungen durch politische Akteure, Kriege, Naturkatastrophen oder Pandemien gewöhnen.
Gewöhnen bedeutet?
Friedmann: Sich so aufzustellen, dass man gut damit umgehen kann. Dass das nicht einfach ist, zeigt sich im Supply-Chain-Management. Wer bei uns im Bereich Lieferkette tätig ist, hat einen besonders herausfordernden Job.
„In meinen Augen ist klar, dass die Dichte der Krisen in den nächsten Jahren nicht geringer werden wird.“
Robert Friedmann
Sprecher der Konzernführung der Würth-Gruppe
Wie beeinflusst die Tatsache, dass Würth in Familienbesitz ist, die Beziehungen zu Ihren Lieferanten und Kunden?
Friedmann: Diese Begegnung heute ist dafür das beste Beispiel. Endress+Hauser zählt zu unseren langjährigen Kunden, mit tausenden Bestellungen pro Jahr. Wenn Herr Altendorf und ich ins Gespräch kommen, dann reden wir nicht über Kennzahlen und Preise, sondern über Werte und das, was unsere Unternehmen kulturell auszeichnet. Im Vordergrund steht nicht die Frage des Scheins, sondern die des Seins.
Altendorf: Um das zu illustrieren: Ich war vor kurzem in Indien unterwegs, wo ich mit unseren Lieferanten ins Gespräch gekommen bin. Auch dort hat man unter Corona sehr gelitten, aber: Es wurde weiter geliefert. Davon haben wir und unsere Kunden profitiert. Irgendwann ist einigen dieser Lieferanten die Liquidität ausgegangen. Sie wären beinahe in die Knie gegangen – doch wir haben ihnen geholfen, indem wir zum Beispiel Lieferungen im Voraus bezahlt haben, im Vertrauen darauf, dass wir das Material später bekommen. Was ich damit sagen will: Unsere Lieferkette besteht aus Partnern. Man kennt sich, vertraut sich, weiß um die Zuverlässigkeit des anderen und handelt dementsprechend.
Wie prägen die wachsenden Anforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit das Management der Lieferketten?
Friedmann: Man muss diese Frage aus zwei Perspektiven betrachten. Zum einen wird niemand in Abrede stellen, dass wir alle vor der Aufgabe stehen, nachhaltiger zu arbeiten, zu leben, zu wirtschaften. Diskutieren müssen wir über das Tempo, die Richtigkeit und die Effizienz der Maßnahmen, die wir wählen. Die zweite Perspektive sind die hohen regulatorischen Anforderungen, die an Unternehmen in der EU gestellt werden. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist eine davon. Diese Regeln führen zu einem riesigen Aufwand, den Unternehmen aus der Schweiz, China oder den USA nicht betreiben müssen. Dadurch entsteht eine Asymmetrie, und diese sehe ich kritisch.
Ginge es genauso gut ohne Regeln?
Friedmann: Ich glaube nicht, dass wir eine so umfassende Veränderung der gesamten Wirtschaft nur auf Basis von Appellen hinbekommen. Dafür braucht es Auflagen. Nur sollten diese für alle gelten.
Altendorf: Entscheidend wird sein, dass wir bei der Transformation eine Balance zwischen Nachhaltigkeit auf der einen sowie ökonomischem Erfolg und sozialer Verträglichkeit auf der anderen Seite finden. Was nicht hilft, sind Dogmatismus und ein zu hohes Tempo. Es kommt darauf an, Maß und Mitte zu halten. Der Umbau einer Wirtschaft gelingt nicht mal eben innerhalb einer Dekade. Das ist eine generationenübergreifende Aufgabe.
„Unsere Lieferkette besteht aus Partnern. Man kennt sich, vertraut sich, weiß um die Zuverlässigkeit des anderen und handelt dementsprechend.“
Matthias Altendorf
Verwaltungsratspräsident der Endress+Hauser Gruppe
Ein Thema, das den Wandel antreibt, ist die Digitalisierung. Endress+Hauser hat in diesem Bereich viel investiert. Wie verändern digitale Lösungen die Lieferketten?
Altendorf: Ein gutes Beispiel ist unser Global Logistics Operations Center in Irland. Wir können dort jedes Paket, das ein Werk von Endress+Hauser verlässt, digital verfolgen. Mehr noch: Wir können es steuern und seinen Weg, wenn nötig, korrigieren. Das ist gerade in Zeiten volatiler Transportketten ein wirksames Tool.
Sie arbeiten im Reinhold Würth Innovationszentrum CURIO an maßgeschneiderten KI-Lösungen für mehr Flexibilität in der Logistik. Wie weit sind Sie in dieser Hinsicht?
Friedmann: In der Theorie gibt es da viele schöne Anwendungen. Nun suchen wir nach solchen, die uns bereits heute helfen können. Einiges gelingt uns schon: Wir können zum Beispiel mit Hilfe von KI-Systemen das Kundenverhalten immer besser vorhersagen. Oder die Route optimieren, auf der ein Verkäufer seine Kunden besucht. Auch die Disposition profitiert von Möglichkeiten der KI. Früher war die Logistik eine Abteilung, die sich mit bestehenden Systemen beschäftigt hat. Heute arbeiten dort Menschen, die sich mit dem Potenzial von Machine Learning auseinandersetzen. Da hat sich viel getan.
Altendorf: Die Berufsbilder in allen Bereichen der Logistik haben sich stark verändert und werden das auch weiterhin tun. Ich bin fest davon überzeugt: Die Digitalisierung wird unterm Strich keine Stellen kosten, aber fast alle Berufe verändern.
Für die Würth-Gruppe arbeiten weltweit rund 44.000 Menschen im Vertrieb. Wie wichtig ist für den Vertrieb der Faktor Mensch?
Friedmann: Für uns ist der Verkäufer weiterhin die wichtigste Figur. Weil er derjenige ist, der den Kontakt zwischen den Kunden und uns herstellt und aufrechthält. Es ist Teil unserer DNA, dass der Vertrieb eine laute Stimme hat, wenn es um Themen wie Verfügbarkeit und Qualität unserer Produkte geht.
Altendorf: Verkaufen ist ein emotionaler Prozess. Daher ist Freundlichkeit ein wichtiger Aspekt; sie zählt nicht umsonst zu den Werten, die Endress+Hauser prägen, wie auch Nachhaltigkeit, Einsatz und Erstklassigkeit. Der Kontakt über den Außendienst ist wichtig, weil wir nur so erfahren, was Kunden bewegt, in welchem Umfeld sie unsere Produkte einsetzen, wie sich ihr Geschäft bewegt. Und was sie erreichen möchten. Damit werden Verkäufer zu Vertrauenspersonen und Beratern. Für die Kunden sind sie die Rückversicherung, dass das, was wir verkaufen, auch funktioniert.
Friedmann: Wir haben es in unserem Segment viel mit Handwerkern zu tun. Und die arbeiten gerne mit Menschen zusammen. Es ist heute unabdingbar, auf Digitalisierung, Automatisierung und KI zu setzen. Und dennoch: Am Ende läuft das Geschäft, das wir machen, immer zwischen Menschen.
Veröffentlicht am 02.12.2024, zuletzt aktualisiert am 09.12.2024.
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