An einem Strang
Der Wandel zur Kreislaufwirtschaft gelingt nur im Zusammenspiel vieler Beteiligter, sagt Covestro-Technikvorstand Thorsten Dreier. Für Endress+Hauser CEO Peter Selders ist die Bereitschaft zur Kooperation deshalb der Schlüssel.

Herr Dreier, sind Sie privat schon in der Kreislaufwirtschaft angekommen?
Dreier: Da wir bei Covestro schon lange alle unsere Ideen, Projekte und Handlungen zuerst darauf prüfen, ob sie nachhaltig sind und zu unserer Vision einer Kreislaufwirtschaft beitragen, habe ich dieses Denkmuster längst in meinen Alltag übernommen. Natürlich vermeide ich Einweg-Produkte, wo immer es geht. Wo dies nicht möglich ist, achte ich auf Qualität und Haltbarkeit, sei es bei Kleidung, Möbeln oder Elektronik. Denn das verlängert die Lebensdauer der Produkte – und vermeidet somit Abfall.
Wie sieht es bei Ihnen aus, Herr Selders?
Selders: Das ist bei uns in der Familie immer ein Thema. Wir merken in den Diskussionen aber auch, dass es gar nicht so leicht ist festzustellen, welcher Weg jeweils wirklich der nachhaltigere ist – sei es bei Lebensmitteln oder Kleidung, sei es in der Frage von Einweg oder Mehrweg. Wir lesen immer verschiedene Quellen und tauschen uns aus. Das gilt auch für die Kreislaufwirtschaft – aber spätestens, wenn wir den Müll sauber getrennt vors Haus tragen, sehen wir, dass wir noch lange nicht da sind!

Für ein Unternehmen ist Kreislaufwirtschaft eine ungleich größere Aufgabe. Warum hat sich Covestro entschlossen, Vorreiter zu werden?
Dreier: Wir sind überzeugt, dass eine Kreislaufwirtschaft langfristig der einzige Weg ist, eine nachhaltige Zukunft für unseren Planeten zu schaffen und zugleich wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Uns war bewusst, dass dies eine enorme Kraftanstrengung für uns als energieintensives Unternehmen darstellt – vor allem, weil bei unseren Verfahren und Prozessen CO2-Emissionen anfallen, die wir vermeiden müssen. Wir möchten bereits 2035 vollständig klimaneutral produzieren. Bis 2050 möchten wir auch unsere Scope-3-Emissionen auf null reduzieren, also die Emissionen, die bei unseren Lieferanten und Kunden im Verlauf des Wertschöpfungsprozesses unserer Produkte anfallen. Und wir haben einen konkreten Fahrplan ausgearbeitet, wie das machbar ist. Wir setzen auf vier Faktoren: Erneuerbare Energie, alternative Rohstoffe, innovative Recyclingmethoden und industrieübergreifende Partnerschaften.
Herr Selders, welche Nachhaltigkeitsziele hat sich Endress+Hauser gesetzt?
Selders: Die direkten und indirekten Treibhausgas-Emissionen unseres Unternehmens – Scope 1 und 2 – möchten wir bis 2034 um 80 Prozent reduzieren. Nettonull möchten wir spätestens 2050 erreichen, und zwar auch in Scope 3, also den vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten. In Scope 1 und 2 werden wir rasch vorankommen, etwa durch den Bezug von grünem Strom oder Maßnahmen, die unsere Effizienz verbessern. Scope 3 stellt uns vor Herausforderungen. Diese Emissionen entstehen beispielsweise bei der Herstellung von Stahl und Aluminium, die wir in unseren Produkten verbauen, oder beim Betrieb unserer Messgeräte in den Anlagen unserer Kunden. Hier suchen wir die Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten und Kunden.
Und welche Ansätze verfolgt Endress+Hauser, um Kreislaufwirtschaft umzusetzen?
Selders: Unsere Geräte sind sehr langlebig und oft Jahrzehnte im Einsatz. Die verbauten Metalle lassen sich hinterher wiederverwerten, ebenso die Elektronik. Wir konzentrieren uns deshalb auf Herstellung und Nutzung. Einen wichtigen Hebel haben wir bei der Beschaffung, etwa indem wir emissionsreduzierte Vorprodukte einkaufen, von Lieferanten, die Grünstrom nutzen oder mit einem hohen Recyclinganteil arbeiten. Einen weiteren Hebel bietet die Konstruktion. Ökodesign ist hier das Stichwort, also zum Beispiel das Optimieren von Materialeinsatz, Energiebedarf und Reparierbarkeit unserer Geräte.
Herr Dreier, was braucht es, damit die Kreislaufwirtschaft in Schwung kommt?
Dreier: Eine so gigantische Transformation ist nur zu schaffen, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte an einem Strang ziehen. Viele Wirtschaftsunternehmen gehen bereits mit voller Kraft voran, doch allein können sie den Wandel zu Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft nicht stemmen. Sie brauchen die volle Unterstützung von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Und genau hier hakt es noch. Das lässt sich gut an der Energiethematik in Deutschland und Europa verdeutlichen. Es fehlt an ausreichend CO2-reduzierter und CO2-neutraler Energie zu bezahlbaren Preisen. Der Ausbau geht nur schleppend voran. Das liegt auch an den langen Genehmigungsverfahren. Daher benötigen wir Übergangstechnologien, um CO2 zu vermeiden. Doch auch hier stehen wir in Deutschland auf der Bremse. Technologien wie Carbon Capture and Storage und Carbon Capture and Usage sind nicht zugelassen. Um innovative und energieeffiziente Produktionsverfahren weiterzuentwickeln, müssen wir zudem investieren. Voraussetzung aber ist, dass die Politik hierfür Planungssicherheit schafft.
Selders: Zu den Rahmenbedingungen gehört, dass wir der Wirtschaft genügend Zeit und Freiraum geben müssen für die Anpassung. Es geht um eine Generationenaufgabe. Und die wird sich nicht mit Idealismus und Verzicht lösen lassen. Wir müssen die nachhaltige Transformation mit wirtschaftlichem Wachstum kombinieren und zu wettbewerbsfähigen Kosten erreichen. Der technologische Fortschritt wird uns dabei helfen.
„Eine so gigantische Transformation wie die Kreislaufwirtschaft ist nur zu schaffen, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte an einem Strang ziehen.“
Thorsten Dreier
Chief Technology Officer von Covestro

Welche Rolle spielen neue Technologien und Verfahren bei der Umsetzung Ihrer Strategie, Herr Dreier?
Dreier: Neue Technologien sind für uns ein Kernelement auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft. Wir können so noch zuverlässiger produzieren, Ressourcen optimal einsetzen und Emissionen vermeiden. Wir setzen alles daran, unsere Prozesse so effizient und energiesparend wie möglich zu gestalten – und sie damit möglichst nachhaltig zu machen. Dafür entwickeln wir laufend neue Verfahren. Modernste Mess- und Automatisierungstechnik spielt dabei eine zentrale Rolle. Wir setzen sie beispielsweise bei der vorausschauenden Wartung ein, können damit den Aufwand zur Prüfung von Sicherheitseinrichtungen reduzieren und die Inbetriebnahme von Geräten vereinfachen. Dabei hilft uns die Expertise der Hersteller von Mess- und Automatisierungstechnik. Wir profitieren enorm von einer verbesserten Diagnostik der Feldgeräte.
Wie unterstützt Endress+Hauser Kunden bei der Transformation, Herr Selders?
Selders: Wenn wir Anlagen effizienter machen wollen – indem wir den Energieverbrauch senken, die Ausbeute steigern, die Verfügbarkeit erhöhen – leistet Mess- und Analysetechnik einen wichtigen Beitrag. Und wir wollen an der Seite unserer Kunden sein, wenn sie neue Verfahren entwickeln und zur Reife bringen. Unsere Stärke ist die Spezialisierung auf die Instrumentierung. Wir schöpfen hier aus viel Erfahrung und Wissen. Damit können wir unsere Kunden unterstützen, ihre Anlagen möglichst gut zu betreiben. Neue Technologien machen es möglich, die Produktqualität im laufenden Prozess zu überwachen. Und auch die Digitalisierung verschafft neue Einblicke. Zudem vereinfacht sie viele Aufgaben. Und natürlich entwickeln wir unser Angebot ständig weiter, gemeinsam mit unseren Kunden.
Welche Bedeutung haben Partnerschaften für Sie, Herr Dreier, um Kreislaufwirtschaft umzusetzen?
Dreier: Kreislaufwirtschaft lässt sich nur gemeinsam erreichen. Über die Scope-3-Emissionen sind die einzelnen Akteure im Wertschöpfungsprozess eng miteinander verzahnt. Wir legen daher einen Schwerpunkt auf Kooperationen mit Unternehmen entlang der gesamten Kette vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Dazu gehört der Austausch von Wissen und Know-how. Wir engagieren uns auch in Industrieverbänden wie der NAMUR. Hier definieren wir gemeinsam mit anderen Unternehmen die Betreiber-Anforderungen an Standardisierung im Bereich der Automatisierungstechnik.
Selders: Die Zusammenarbeit mit Kunden auf Verbandsebene ist für uns sehr wertvoll. Überhaupt sehe ich Kooperation als einen Schlüssel, wenn nicht den Schlüssel, damit die nachhaltige Transformation gelingt.
Wie ist Endress+Hauser für die Herausforderungen durch die nachhaltige Transformation und die Kreislaufwirtschaft aufgestellt?
Selders: Als Familienunternehmen haben wir die langfristige Perspektive, die es für diese Generationenaufgabe braucht. Das gibt den Menschen Sicherheit und dem Unternehmen Stabilität. Wir können die großen Ziele im Blick behalten und sie auch dann weiterverfolgen, wenn Unvorhergesehenes eintritt. Das ist entscheidend in einem Umfeld, das sich immer schneller und unvorhersehbarer entwickelt. Nicht zuletzt haben wir über viele Jahre eine Kultur der Kooperation entwickelt, die tief in unserer DNA verwurzelt ist. Das alles hilft uns, intern und extern die Kräfte zu nutzen, die Kooperationen entfalten. Und es gibt mir Zuversicht, dass wir die Herausforderungen lösen, gemeinsam mit unseren Kunden.
Herr Dreier, was stimmt Sie zuversichtlich, dass Sie die ambitionierte Strategie von Covestro umsetzen können?
Dreier: Ich glaube, mittlerweile haben viele politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure begriffen, dass es ohne eine echte Kreislaufwirtschaft keine Zukunft für diesen Planeten geben wird. Die Wirtschaft ist längst branchenübergreifend mit der Transformation beschäftigt. Das stimmt mich sehr optimistisch. Ich bin davon überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren noch weiter an Tempo zulegen werden.
Veröffentlicht am 14.07.2025, zuletzt aktualisiert am 11.08.2025.
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