Ein Pionier auf vielen Gebieten

Zeit seines Lebens hat Georg H. Endress Dinge angestoßen und bewegt. Das Wirken des Unternehmers ist auch zu seinem 100. Geburtstag sichtbar und spürbar – im Familienunternehmen, das er aufgebaut hat, und weit darüber hinaus.

Text: Martin Raab
Fotos: Endress+Hauser
Georg H Endress was 29 years old when he founded the company in 1953.

Schon die frühen Jahre waren bewegt: Georg Herbert Endress wurde am 9. Januar 1924 im deutschen Freiburg im Breisgau geboren; sein Vater leitete dort eine Fabrik für industrielle Gase. Eingeschult wurde er in Zagreb, wo der Vater später tätig war. Die weiterführenden Schulen besuchte Georg H. Endress in Basel. Die Familie war angesichts der unruhigen politischen Lage dorthin gezogen, statt dem Vater nach Paris zu folgen.

Endress absolvierte eine Lehre als Mechaniker und arbeitete anschließend für verschiedene Firmen. Nebenher besuchte er das Abendtechnikum. Doch nach fünf Semestern war damit Schluss: Sein Vater wollte ihn nicht länger unterstützen, weil der Junior seiner Ansicht nach zu früh eine Familie gründete. Georg H. Endress hatte Alice Vogt beim Militärdienst im Tessin kennengelernt. 1946 heiratete das Paar, 1947 kam das erste von insgesamt acht Kindern zur Welt.

Zu jener Zeit arbeitete Georg H. Endress für seinen Vater. Dieser vertrieb kapazitive Feuchtemessgeräte aus britischer Produktion an die Textilindustrie rund um Basel. Von einem Aufenthalt beim Hersteller dieser Geräte, Fielden Electronics, kehrte der junge Ingenieur mit neuartigen Füllstandsmessgeräten im Gepäck zurück. Diese wollte er fortan in Deutschland verkaufen.

Sicher durch die stürmische Anfangszeit

Für sein Vorhaben benötigte der Schweizer Endress einen deutschen Partner. Den fand der 29-Jährige in Ludwig Hauser (58), Leiter einer kleinen Genossenschaftsbank. Am 1. Februar 1953 wurde die L. Hauser KG „zum Vertrieb von Fielden-Endres elektronischen Geräten“ ins Handelsregister eingetragen (einschließlich des Schreibfehlers). Namensgeberin war Hausers Ehefrau Luise, mit einer Einlage von 2.000 D-Mark zugleich die erste Gesellschafterin des Unternehmens.

Die Entwicklung verlief von Anfang an rasant. Den neuen Eigentümern von Fielden Electronics war so viel Erfolg unheimlich: Sie wollten nicht abhängig werden vom deutschen Partner und kündigten den Vertrag. 1956 begann das junge Unternehmen deshalb mit der Produktion eigener Messgeräte in angemieteten Räumen. Mechanische Werkstätte, Elektronikfertigung, Versand und Büros waren bald über mehrere Gebäude verteilt – die Mitarbeitenden sprachen liebevoll-spöttisch von den „Vereinigten Hüttenwerken“.

Während Georg H. Endress mit viel Gespür für Markt und Kunden das Geschäft entwickelte, behielt Ludwig Hauser ein Auge auf die Finanzen. Viele Prinzipien, die bis heute Bestand haben bei Endress+Hauser, nahmen damals bereits Gestalt an. So baute Georg H. Endress sein Geschäft Zug um Zug aus, um weniger abhängig von einzelnen Technologien, Branchen und Regionen zu sein. Auch die starke Ausrichtung auf die Kunden war von Anfang an in der DNA des Unternehmens. So wurde aus dem kleinen Start-up ein immer größerer Player. Möglich war dies, weil es Georg H. Endress verstand, Menschen für seine Vorhaben zu begeistern, die auf ihren Gebieten besser waren als er selbst.

Grenzen überwunden und Horizonte erweitert

Viel Wert legte GHE, wie er intern genannt wurde, stets auf Aus- und Weiterbildung. Endress+Hauser machte er dafür zum Vorzeigebetrieb. Er rief in der Region Basel die trinationale Lehrlingsausbildung ins Leben, stieß das trinationale Ingenieurstudium an und engagierte sich für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Er wirkte im badischen Wirtschaftsverband WVIB und in der Regio-Gesellschaft Oberrhein, und auch das „BioValley“, ein Netzwerk im Bereich der Life Sciences, geht auf seine Initiative zurück.

Als er 1995 die Leitung der Gruppe an seinen Sohn Klaus übergab, zählte Endress+Hauser weltweit 4.300 Mitarbeitende und erzielte 680 Millionen Franken Umsatz. Für seine unternehmerische Leistung und seinen gesellschaftlichen Einsatz wurde Georg H. Endress vielfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande und der Ernennung zum Chevalier dans l’Ordre National de la Légion d’Honneur, mit der Ehrendoktorwürde der Universität Basel und der Ernennung zum Ehrensenator der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Georg H. Endress starb nach kurzer Krankheit am 14. Dezember 2008, wenige Wochen vor seinem 85. Geburtstag. Seine Spuren aber bleiben sichtbar, sein Wirken lebendig – im Unternehmen, das heute in der Prozessmesstechnik führend ist, in seiner großen Familie mit inzwischen über 75 Mitgliedern, über die Georg H. Endress Stiftung, die sich in Bildung und Forschung engagiert, in den vielen Menschen, die er geprägt hat und denen er bis heute in Erinnerung ist.

MOMENTS

Fruchtbare Idee

Das Unternehmertum war Georg H. Endress nicht in die Wiege gelegt worden. Der junge Ingenieur hatte nach seiner Ausbildung erst für verschiedene Firmen gearbeitet, dann für seinen Vater, der kapazitive Feuchtesensoren an die Textilindustrie vertrieb. Die Bezahlung, erzählt man sich in der Familie, war kärglich. „Als unser fünftes Kind unterwegs war, hat mich meine Frau aufgefordert, etwas zu unternehmen – also wurde ich Unternehmer“, gab Georg H. Endress später gerne zum Besten.

Georg H Endress was 29 years old when he founded the company in 1953.

Ungleiche Partner

Der junge Schweizer Ingenieur Georg H. Endress (zur Zeit der Gründung 29) und Ludwig Hauser (58), Leiter einer kleinen Genossenschaftsbank aus Deutschland, waren ein sehr gegensätzliches Gespann. Dennoch ergänzten sich beide gut. Der Weitblick und der Vorwärtsdrang des einen sind für den Erfolg so wichtig wie die Umsicht und die Erfahrung des andern. Nach dem Tod des Kompagnons und dem Rückzug der Familie Hauser sah Endress deshalb „keinen Grund“, den Firmennamen zu ändern.

The young Swiss engineer found the perfect partner in Ludwig Hauser, who was twice his age when the company was founded.

Bewährtes Rezept

Für Gäste feuerte Georg H. Endress gerne den Pizzaofen im Garten seines Hauses an – und sein Geschäft weitete er, wie er es selbst nannte, nach dem „Teigausrollverfahren“ an den Rändern aus: Nachdem der Vertrieb nach und nach ganz Deutschland abdeckte, erschloss Endress+Hauser ab 1960 ausländische Märkte, ab 1970 auch in Übersee; zur kapazitiven Füllstandsmessung kamen erst weitere Messprinzipien hinzu, in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre dann auch zusätzliche Arbeitsgebiete.

Georg H Endress expanded his business according to the ‘dough roll-out method’.

Besondere Beziehung

Nicht die Geräte und Technik machen den Erfolg aus – sondern die Menschen und wie sie miteinander umgehen, wusste Georg H. Endress. Das galt besonders auch für den Umgang mit Kunden: „Erst dienen, dann verdienen“, übernahm er als Losung. Er machte die Erfahrung: „Kunden, bei denen wir einen Fehler gemacht hatten, gehörten später zu unseren besten Kunden, weil sie gesehen haben, wir lassen das nicht auf sich beruhen, sondern wir schauen, dass die Dinge laufen.“

The young company founder was not afraid to get his hands dirty when visiting customers.

Enge Bindung

Selbst wenn es wirtschaftlich nicht rund läuft, werden keine Arbeitsplätze abgebaut: Diese eiserne Regel galt schon für Georg H. Endress. Nur einmal, in den 1970er-Jahren, musste er davon abweichen: Die Ölpreiskrise und ein Neubauprojekt hatten Endress+Hauser in finanzielle Nöte gestürzt. Das Unternehmen musste 74 von 710 Mitarbeitenden entlassen. Es gelang, die Krise rasch zu überwinden – und schon ein Jahr später konnten die meisten wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren.

Georg H Endress in the 1950s with employees from production in Lörrach, Germany.

Wertvolles Wissen

„Was man gelernt hat, kann einem niemand nehmen“, wusste Georg H. Endress. Er selbst hatte eine sehr gute Ausbildung zum Mechaniker genossen: („Wenn man einen Klotz Stahl nach einer Woche Feilen um fünf Zentimeter kleiner gemacht hat, hat man viel gelernt.“). Seinen Kindern ließ er die bestmögliche Ausbildung angedeihen; Endress+Hauser machte er zum Vorzeigebetrieb: „Die Ausbildung bei uns muss so gut sein, dass jeder Vorgesetzte seine Kinder zu uns schicken würde.“  

Endress+Hauser opened up foreign markets from 1960, including overseas from 1970.

Sinn für die Familie

Georg H. Endress hatte seine Frau Alice beim Militärdienst im Tessin kennengelernt. Ihr Wunsch war von Anfang an eine große Familie – zum Unternehmen hielt sie bewusst Distanz. Und sie verlangte: Bei Tisch wird nur gut übers Geschäft gesprochen! Als Kind hatte sie in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 unter den vielen schlechten Nachrichten gelitten. Der Grundsatz habe sich bewährt, meinte Georg H. Endress später: „Die Kinder kamen von selbst und wollten ins Geschäft einsteigen.“

Georg H and Alice Endress in 2003 with their eight grown children.