Frau geht durch Öffnung
News+Fakten

Ausgang offen

Die Pandemie hat tausend Gesichter. Sie verändert, wie wir uns begegnen, wie wir reisen, lernen und uns anziehen. Was häufig Probleme mit sich bringt, hat mitunter auch positive Seiten. Zeit, kurz innezuhalten und zu fragen: Was kommt auf uns zu, was geht wieder und was wird bleiben?

Text: Alexandra Schröder, Cornelia Theisen, Florian Lehmann, Robert Habi, Roman Scherer
Fotografie und Illustration: Getty Images, Shutterstock, 3st
Brotillustration

Etwas gebacken kriegen

Am Anfang der Pandemie waren Hefe und Mehl oft Mangelware. Viele Menschen nutzten nämlich die Zeit im Lockdown und backten ihr eigenes Brot. Der Trend zum selbstgemachten Sauerteig oder zum Experiment mit Bananenbrot geht weiter. Ob die Popularität des Brotbackens vom elementaren Bedürfnis der Menschen nach selbstbestimmter ­Versorgung in der Krise herrührt oder von der beruhigenden Wirkung des Teigknetens, wird die Wissenschaft noch ­klären müssen.

Prognose: Bleibt noch lange. Der weltweit älteste Bakterienstamm für Sauerteig aus Kanada soll etwa 120 Jahre alt sein, vielleicht wird irgendwann ein „Corona-Teig“ den Rekord knacken.

Nicht ohne meinen Mundschutz

In Asien gehört der Mund-Nasen-Schutz schon lange vor der Pandemie ganz selbstverständlich zum Straßenbild, wenn im Gedränge kein Abstand gehalten werden kann, und im Westen wundert man sich, wie schnell sich alle an die Gesichtsbedeckung gewöhnt haben. Genauso, wie Händewaschen auch ohne
SARS-CoV-2 eine ziemlich gute Idee ist, verhindert eine Maske die Übertragung ganz normaler Erkältungen und die winterliche Grippewelle. Außerdem hält sie bei Minustemperaturen die Nase warm.

Prognose: Bleibt vorerst und ist tragbar, wenn es der Gesundheit dient.

 

Warum in die Ferne?

In der Pandemie mussten Urlauberinnen und Urlauber umdenken. Statt in die Ferne zu schweifen, fanden Reisen – wenn überhaupt – im eigenen Land statt. Dabei lernten viele, die Vorzüge solcher Nahreisen zu schätzen. Urlaub daheim hat auch über die Pandemie hinaus das Zeug zum Trend. Das bestätigt auch eine aktuelle Umfrage in Deutschland, den USA und China.

Prognose: Kommt weiter in Fahrt. Positiver Nebeneffekt: Weniger Flüge und weniger Kreuzfahrten sind auch gut fürs Klima.

 

 

Tüfteln als Therapie

Hämmern, sägen, streichen. Immer mehr Menschen vertiefen sich in kreative Heimarbeit und stecken Geld in ihre vier Wände. Frei nach dem Motto „Wenn die Pandemie uns einsperrt, dann in einer schönen Wohnung“, wird renoviert, ­dekoriert und saniert wie lange nicht. In Deutschland verzeichnet die Do-it-yourself-Branche ein Umsatzwachstum von gut 15 Prozent, die Aktienkurse der großen US-Baumarktbetreiber Home Depot und Lowe’s stiegen um jeweils rund
ein Drittel, und in Großbritannien wuchs der Onlinehandel mit Bau- und Bastelprodukten sogar um die Hälfte.

Prognose: Das geht wieder. Irgendwann ist schließlich jeder Raum gestrichen.

„Es geht viel mehr um physischen Abstand als um ‚Social Distancing‘. Social Distancing klingt gerade so, als würden wir diese Krise nur überstehen, wenn wir uns gegenseitig den Rücken zuwenden. Die einzige Möglichkeit aber, wie wir die Menschen schützen können, die wirklich in Not sind, ist, wenn wir das bisschen soziale Solidarität, das wir noch haben, ausbauen und daraus schöpfen.“

Eric Klinenberg,

Professor für Soziologie und Direktor am Institute for Public Knowledge, New York University

Alles per Kamera

Dating, Kochkurs, Feierabendbier – und Arbeitsmeetings sowieso: Zwischenmenschlich spielt sich in der Pandemie ­vieles auf dem Bildschirm ab. Dabei lassen sich einige Vorteile entdecken, gerade, wenn es um flexibles Arbeiten oder ­Unterrichten geht. Gleichzeitig werden die Grenzen virtueller Begegnungen deutlich spürbar: Die kognitive Belastung ist nachweislich höher als in der realen Welt, und viele Menschen vermissen die Tuchfühlung echter Treffen.

Prognose: Bleibt teilweise, und das ist gut. Gerade im Job oder beim Lernen ist die Flexibilität ein Mehrwert. Anstoßen oder Rendezvous dann lieber wieder in echt.

 

Buchillustration

My Home is my Klassenzimmer

Was in manchen Ländern wie Dänemark schon alltäglich ist, stellt Kinder, Lehrkräfte und Eltern anderswo vor eine Mammutaufgabe: digitaler Unterricht zu Hause. Laut Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum) in Genf wird das sogenannte „Homeschooling“ wahrscheinlich langfristige Auswirkungen auf die ­Bildung haben. Das heißt: Neben der technischen Ausstattung von Schulen und Schülern wird es vor allem wichtig sein, Lehrerinnen und Lehrer fit für den Fernunterricht zu machen und weiterhin allen Kindern den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Hier ist vor allem die Politik gefragt.

Prognose: Das bleibt eine Herausforderung für alle Beteiligten – aber auch eine Chance.

 

Ein Rat? Aufs Rat

Ein Fahrrad kaufen in Coronazeiten? Gute Idee, aber fast ­unmöglich. Durch die riesige Nachfrage ist der Zweirad-Markt in vielen Ländern der Welt leergefegt. In den USA zum Beispiel wurden im April und Mai 2020 so viele Räder verkauft wie zuletzt während der Ölkrise in den 1970er-Jahren. In ­Europa nutzen viele den Drahtesel, um auf dem Weg zur Arbeit die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden – oder um nach Feierabend sportlich aktiv zu sein. Positiver Nebeneffekt: Viele Städte wie Brüssel, Barcelona und Mailand haben kurz­fristig neue Fahrradwege eingerichtet oder gleich die ganze Innenstadt zur verkehrsberuhigten Zone erklärt.

Prognose: Das bleibt, weil es nicht nur gesund ist, sondern auch der Umwelt nützt und in Städten Platz spart.

 

Mann in Anzug und Unterhose

Dresscode? Was für’n Dresscode

Nachdem die Krawatte schon präpandemisch auf dem Rückzug war, hat das Jahr 2020 der modischen Anmut einen echten Tritt verpasst: Loungewear ist auf dem Vormarsch. Denn im Homeoffice schwindet die Lust, sich schick anzuziehen. Das Datenanalyse-Unternehmen Reply berichtet, dass das Modeinteresse von Briten, Deutschen, Franzosen, Italienern und Spaniern schon kurz nach Beginn der Pandemie um 23 Prozent geringer war als im Vorjahr. Ähnliches melden Medien in den USA und Südafrika. Und zum chinesischen Neujahr 2021 war #One­PajamaForTheWholeDay einer der meistgesuchten Hashtags. Man kann sich ausmalen, wo das noch hinführt.

Prognose: Das bleibt, denn wir können das Virus gar nicht so schnell zurückdrängen, wie sich unsere Augen an den Freizeit-Look gewöhnen.