Halt geben

In der Krise ist Zusammenhalt entscheidend. Die Grundlage dafür, darin sind sich Klaus Endressund Matthias Altendorf einig, muss aber in guten Zeiten gelegt werden.

Fragen: Martin Raab
Fotografie: Andreas Mader
Endress und Altendorf im Gespräch

Herr Endress, wie hat die Coronavirus-Pandemie Ihr Leben verändert?


Endress: Draußen sein, sich bewegen, die Natur bewusst genießen – das mache ich schon ein Leben lang. Das ist in der Pandemie einfach mehr geworden.


Und bei Ihnen, Herr Altendorf?


Altendorf: Das ist bei mir ähnlich. Ich gehe hinaus, bewege mich draußen, versuche, ­Anregung zu bekommen in der Natur. Geholfen hat mir die Disziplin. Egal, ob ich im Homeoffice bin oder ins Büro gehe: Ich habe immer den gleichen Rhythmus. Was mir enorm fehlt, ist das kulturelle Leben: Konzerte, Ausstellungen, Theater – all die Dinge, die uns normalerweise inspirieren.
Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?


Altendorf: Als Chef eines Unternehmens darf ich meine Zuversicht nie verlieren. Dazu gehört, stets optimistisch zu sein, zugleich aber immer auch realistisch und objektiv zu bleiben. Dieser Spagat wird schwieriger, wenn die Interaktion mit der Außenwelt fehlt. Deshalb suche ich immer nach langen Linien – einer Strategie, einem langfristigen Ziel. Aber diese langen Linien helfen mir, positiv zu bleiben.


Wie sehen diese langen Linien bei Endress+Hauser aus?
Altendorf: Wir haben gesagt, wir wollen die Gesundheit der Menschen schützen und unsere Kunden möglichst gut bedienen. Und uns war wichtig, ohne dass wir die Auswirkungen der Pandemie gekannt haben, Kurzarbeit zu vermeiden, wenn es irgendwie geht, und niemanden zu entlassen. Gleichzeitig haben wir beschlossen, keine großen Investments zu kürzen. Daran haben wir uns gehalten. Aber wir haben in Szenarien ­gedacht, was die wirtschaftlichen Auswirkungen für das Unternehmen angeht.

„Eine der wichtigsten Aufgaben des Top-Managements in der Krise ist, Sicherheit zu geben.“

Klaus Endress,

Verwaltungsratspräsident der Endress+Hauser Gruppe

Bindeglied zur Familie

Dr. h.c. Klaus Endress (Jahrgang 1948) hat ein Studium als Diplom-Wirtschaftsingenieur an der Technischen Univer­sität Berlin absolviert. Er trat 1979 ins väterliche Unternehmen ein und übernahm 1995 die Leitung der Firmengruppe. 2014 wechselte er als Präsident in den Verwaltungsrat. Klaus Endress ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Wann immer möglich, zieht es den passionierten Reiter und Mountainbiker in die Natur, häufig begleitet von Hündin Maya.

Und wo sind Sie am Ende gelandet?


Altendorf: In harten Zahlen liegen wir 2,8 Prozent hinter dem Vorjahr, wobei ein großer Teil davon von der Währungsentwicklung beeinflusst ist. Die Umsatzrendite haben
wir gehalten. Wir haben 126 neue Stellen geschaffen und praktisch alle Auszubildenden übernommen. Alles in allem können wir mit dem Ergebnis zufrieden sein.


Endress: Das sind unter diesen Umständen sogar beneidenswert gute Zahlen. Ein Schlüssel war sicherlich, dass wir ein paar Dinge gelernt haben aus der Finanzkrise 2008 /2009. Dass wir in alle möglichen und unmöglichen Richtungen denken, auch verrückte Ideen zulassen und sie umsetzen, wenn sie uns helfen. Das können die Menschen nur machen, wenn sie Sicherheit haben. Und eine der wichtigsten Aufgaben des Top-Managements in der Krise ist, diese Sicherheit zu geben.
Wie kann das gelingen?


Endress: Indem wir in einer Krise die Botschaft geben, wir vermeiden Kurzarbeit, wir stehen das alles gemeinsam durch. Die Mitarbeitenden sehen, dass die Situation nicht einfach ist. Aber sie merken, sie werden gehalten, sind in Arbeit und können da ihre ganze Kraft einbringen. Was uns und andere gute Unternehmen unterscheidet vom Rest der Welt, ist der Zusammenhalt. Wir sind, pathetisch gesagt, eine große Familie. Da gibt es ein Wir-Gefühl. Das mobilisiert Kräfte, die sind unglaublich!


Altendorf: Die Leute spüren diesen Zusammenhalt. Da ist ein Urvertrauen in die Firma da. Das muss immer wieder verdient und erneuert werden. Alfred Herrhausen, der frü­here Chef der Deutschen Bank, hat gesagt: „Wir müssen das, was wir denken, sagen. Wir müssen das, was wir sagen, tun. Wir müssen das, was wir tun, dann auch sein.“

Was bedeutet die Pandemie für das Miteinander in der Gesellschafterfamilie, Herr Endress?

Endress: Ein Treffen im engeren Kreis von Familienmitgliedern und Top-Management gleich zu Beginn des letzten Jahres hat noch stattgefunden. Danach sind praktisch alle ­Begegnungen ausgefallen. Die Informationen fließen in rauen Mengen. Aber die physische Präsenz fehlt. Und das zehrt!

Herr Altendorf, wie verändert die Coronavirus-Pandemie denn die Welt von ­Endress+Hauser und die der Kunden?

Altendorf: Ich sehe im Wesentlichen vier Elemente. Ein Punkt ist die Zukunft des Vertriebs, die Oberfläche zu Markt und Kunden. Im Bild des Baumes, das Herr Endress gerne benutzt, ist das die Krone. Wir brauchen mehr Oberfläche, die das Sonnenlicht aufnehmen kann, um Lücken zu schließen und eine größere Präsenz zu erreichen. Hier müssen wir alle Möglichkeiten im Zusammenspiel zwischen analoger und digitaler Welt nutzen.

Endress: Digitalisierung und Online-Plattformen schaffen weitere Zugänge zu Markt und Kunden. Je mehr Verästelung wir haben, desto besser ist das für uns. Aber die digitale Welt wird nicht den physischen Vertrieb ersetzen. Die Menschen brauchen immer die Menschen. Das Begriffspaar Wissen und Wärme ist wahnsinnig wichtig… Das Wissen kann man digital transportieren, aber die Wärme nur durch die Nähe. Wenn in den Medien steht, es wird künftig nur noch Homeoffice geben, dann ist das falsch. Zu Hause fehlt den Mitarbeitenden die Interaktion mit anderen Menschen.

Altendorf: Trotzdem wird sich die Art, wie wir zusammenarbeiten, ändern – ein weiteres Element. Wenn die Menschen physisch alle in einem Raum sind, ist die Zusammenarbeit eine andere, als wenn sie in einem gemischten Modus oder in einem reinen Digitalformat kollaborieren müssen.

„Als Chef darf ich meine Zuversicht nie verlieren. Deshalb suche ich immer nach langen Linien. Das hilft mir, positiv zu bleiben.“

Matthias Altendorf,

CEO der Endress+Hauser Gruppe

Klaus Endress Porträt

„Was uns und andere gute Unternehmen unterscheidet vom Rest der Welt, ist der Zusammenhalt.“

Klaus Endress,

Verwaltungsratspräsident der Endress+Hauser Gruppe

Matthias Altendorf Porträt

„Die Pandemie wird die Gesellschaft und uns noch lange beschäftigen.“

Matthias Altendorf,

CEO der Endress+Hauser Gruppe

Sie haben von vier Elementen gesprochen…

Altendorf: Ein drittes Element ist die Bedeutung der Arbeit. Vor allem in der westlichen Welt stellen die Menschen die Sinnfrage. Lange hatten wir die Sorge, in Zukunft nicht ­genügend qualifizierte Mitarbeitende zu finden… Heute bin ich überzeugt: Es wird immer genügend Menschen geben, die für Endress+Hauser arbeiten wollen – wenn wir erfüllen, was sie suchen. Dazu trägt bei, wie wir mit Menschen umgehen. Vor allem ist das, was wir tun, spannend, denn wir beschäftigen uns mit wesentlichen globalen Herausforderungen. Unsere Arbeit hat einen hohen Nutzen – nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für die Gesellschaft.

Und viertens?

Altendorf: Das vierte Element ist die Robustheit der Lieferketten. Weil Nationalstaaten ihre Grenzen geschlossen haben, sind Lieferketten gebrochen. Bei Endress+Hauser konnten wir die Materialverfügbarkeit sicherstellen – aber viele unserer Kunden hatten Schwierigkeiten. Das wird zu neuen Überlegungen führen, wie Lieferketten organisiert werden.

Endress: Am Ende läuft alles auf eine unheimlich hohe Flexibilität hinaus, die jede und jeder haben muss!

Gibt es denn noch mehr, was wir aus der Krise lernen können?

Endress: Nach der Krise ist vor der Krise. In der Finanzkrise haben wir festgestellt, dass Biotechnologie und Life Sciences weiter boomen. Ausgerechnet auf diesen Gebieten ­waren wir nicht besonders gut. Das haben wir geändert. Wir haben investiert, auch Zukäufe gemacht, und uns auf dem Gebiet der Analysetechnik gestärkt. Außerdem sind wir ins Laborgeschäft eingestiegen. Das alles hat uns sehr geholfen im vergangenen Jahr.

Vor Corona haben Klima- und Umweltschutz die öffentliche Diskussion bestimmt. Wie geht es damit weiter?

Altendorf: Die Menschen haben für Themen wie Gesundheit, Ernährung, Umweltschutz ein anderes Bewusstsein bekommen. Und der Klimawandel geht ja nicht weg. Er muss und wird die Menschheit beschäftigen. Die Politik setzt den Rahmen, etwa die Europäische Union mit ihren Klimazielen. Und in der Industrie sehe ich viel Engagement, um den CO₂-Fußabdruck zu verkleinern.

Endress: Corona wird dazu beitragen, dass wir nachhaltiger werden.

Wenn Sie nach vorne schauen – haben wir die schwierigste Zeit der Pandemie noch vor uns?

Altendorf: Die Pandemie wird die Gesellschaft und uns auf jeden Fall noch ganz schön lange beschäftigen. Vermutlich werden wir die ersten neun Monate des Jahres zu kämpfen haben, bis größere Teile der Gesellschaft Sicherheit und Zuversicht erhalten durch eine Impfung. Erst die Impfung gegen das Coronavirus wird uns eine ähnliche Normalität zurückgeben, wie wir sie früher hatten. Die alte Normalität wird es nie mehr geben …
Aber ich denke schon, dass dann wieder eine gewisse wirtschaftliche Dynamik aufzieht.

Endress: Vertrauen ist der Schlüssel. Ohne Vertrauen gibt es keine Investitionen. Und ­damit kein Wachstum. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Ziele erreichen werden, denn da ist eine Menge im Unternehmen, was über Jahrzehnte geschaffen und weiter ausgebaut wurde. Wir haben großartige Menschen und ein erstklassiges Angebot. Und wir hatten noch nie so viele tolle Produktneuheiten wie in diesem Jahr!

Im Unternehmen verwurzelt

Matthias Altendorf (Jahrgang 1967) hat seine Karriere bei Endress+Hauser mit einer Lehre als Mechaniker begonnen, an die sich Studium, Auslandsaufenthalt und Weiterbildung anschlossen. 2009 wurde er ins Executive Board berufen, 2014 übernahm er die Leitung der Firmengruppe. Ausgleich findet Matthias Altendorf beim Segeln, im Schachspiel, auf dem Motorrad und bei der Waldarbeit. Reisen, Kunst und ­Lesen sind weitere Hobbys. Matthias Altendorf ist verheiratet und Vater eines erwachsenen Sohnes.

Hauptquartier Reinach

In normal times, a place for personal encounters: the headquarters in Reinach, Switzerland.

Endress und Altendorf im Gespräch

Physical distance, ideal proximity: Matthias Altendorf (right) in discussion with Klaus Endress, here on the roof terrace of the company building.