Drehscheibe für Ostafrika

Mit den drei modernisierten Seehäfen ­Daressalam, Tanga und Mtwara will Tansania seine Rolle als wichtiger Handelsplatz in ­Ostafrika stärken. Helfen soll dabei moderne Messtechnik von Endress+Hauser. Ein außer­gewöhnliches Projekt, das unter Pandemie­bedingungen zur echten Herausforderung wurde.  

Text: Robert Habi
Fotografie: Sam Vox
Der Blick über Daressalam. Der Schiffs­anleger des Ölterminals ragt etwa  500 Meter weit ins Hafenbecken

Ausnahmsweise ist er in seinem Heimbüro in Mailand, als Riccardo Cremascoli das Telefon abnimmt. Sonst erwischt man ihn meistens unterwegs. Denn als Head of Project Operations von Endress+Hauser ist es seine Aufgabe, große Projekte auf der ganzen Welt abzuwickeln. Deshalb kann den Italiener ­eigentlich wenig beeindrucken. Doch wenn er über das Drei-Häfen-Projekt in Tansania spricht, kann man die Spannung in seiner Stimme hören. „Dieser Auftrag ist einfach besonders. Oft erweitern wir ­bestehende Anlagen um ein, zwei oder auch mal vier Skids.“ Die großen Stahlkonstruktionen tragen die Messtechnik von Endress+Hauser mitsamt Rohrleitungen, Ventilen, weiteren Komponenten und den nötigen Kabeln. „Aber in Tansania haben wir drei komplett neue Anlagen mit 19 teilweise doppel­stöckigen Skids gebaut, dazu noch eine ganze Reihe von Zusatzmodulen.“

Aber der Reihe nach: Der Kunde – die tansanische Hafenbehörde TPA – hatte ein schlüsselfertiges Komplettpaket für die drei Seehäfen von Daressalam, Tanga und Mtwara bestellt. Jedes der 19 Flüssig­produkte, das dort gelöscht wird, sollte eine eigene Messstrecke bekommen, die mit hochpräziser ­Messtechnik ausgestattet ist. Von Planung und Fertigung der Anlage über Transport und Funda­mentbau bis zu Vor-Ort-Montage und Inbetriebnahme sollte alles aus einer Hand kommen. Ein echte ­Challenge. Um solch komplexe Projekte mit vielen Teilphasen erfolgreich zu gestalten, schwört ­Riccardo Cremascoli auf ein Prinzip: „Du musst dem gesamten Team ein genaues Zielbild vor Augen ­führen. Nicht erst das Haus bauen, dann die Fenster und den Rest aussuchen, sondern von Anfang an ­alles im Blick haben.“

Der Blick Richtung Containerhafen, der ebenfalls sukzessive modernisiert wird.

Der Blick Richtung Containerhafen, der ebenfalls sukzessive modernisiert wird.

Konkurrenz an der Küste

Für die tansanische Hafenbehörde komplettieren die Messanlagen von Endress+Hauser das große Zielbild der Regierung: moderne Seehäfen, die sich als maritime Handelsplätze gegen die Konkurrenten in der Region behaupten können. Denn in Zukunft geht es um die Frage: Wer bedient den Warenstrom in Afrikas Binnenländer wie Malawi, Sambia, Burundi, Ruanda, Uganda oder die Demokratische ­Republik Kongo? Dort wird die rasant wachsende Bevölkerung in kommenden Jahren für einen immer ­höheren Frachtumschlag sorgen.

Tansania investiert neben den beiden Seehäfen Tanga im Norden und Mtwara im Süden vor allem an ­seinem wichtigsten Umschlagsplatz Daressalam. Der Hafen der ehemaligen Hauptstadt ist Handelsplatz für 95 Prozent des Im- und Exports des ostafrikanischen Landes und Hoffnungsträger einer Stadt, die einen riesigen Nachfrageschub erzeugt. Einst als kleines Fischerdorf am indischen Ozean ge­gründet, belegt das „Haus des Friedens“ – wie Daressalam auf Arabisch heißt – aktuell Platz elf der am schnellsten wach­senden Städte weltweit. Laut Prognose der Vereinten Nationen werden hier im Jahr 2035 knapp 13,5 Millionen Menschen leben, doppelt so viele wie heute.

Karte

Investition in die Infrastruktur

Die entscheidenden Vorteile des Hafenprojekts, erklärt Raymond Lusekelo, Supply and Logistics Manager, der im Auftrag der Hafenbehörde arbeitet: „Zum einen wird die präzise Messtechnik für faire Geschäfte zwischen Lieferanten und Impor­teuren sorgen. Zum anderen investiert Tansania intensiv in kosteneffiziente Transportinfrastruktur, um einen reibungslosen Warentransport innerhalb der Landesgrenzen und darüber hinaus zu ermöglichen“, sagt er und fügt hinzu: „Das macht Daressalam zu einer bevorzugten Route für Transitgüter.“

Und für dieses Versprechen in die Zukunft wird einiges getan. Seit 2017 investiert unter anderem die Weltbank 345 Millionen US-Dollar in größere Liegeplätze, tiefere Fahrrinnen und eine bessere Hafen­infrastruktur. Dazu kommt ein frisch ausgebautes Schienennetz, das laut eines Berichts des Central Corridor Transport Observatory Daressalam im Jahr 2019 deutlich geringere Transportkosten bescherte. Der bisher noch fehlende Baustein für einen zukunftsfähigen Hafen: ein optimales Management von Flüssiggütern wie Benzin, Schmierölen, Lebensmittelölen und anderen Kohlenwasserstoffen, die auf dem Weg vom Schiff in die Tankdepots gemessen werden müssen. So lautet der Auftrag, als die TPA im Jahr 2018 das Projekt vergibt.

In den haushohen Anlagen ist ab und an Klettern angesagt.

In den haushohen Anlagen ist ab und an Klettern angesagt.

„Du musst von Anfang an ein genaues Zielbild haben. Nicht erst das Haus bauen, dann die Fenster und dann den Rest aussuchen.“

Riccardo Cremascoli,

Head of Project Operations, Endress+Hauser

Riccardo Cremascoli Portät
Maschinen und Messgeräte

Die 14 Skids in Daressalam messen alle Flüssiggüter, die aus den Tankschiffen gelöscht werden.

95%

des Im- und Exports Tansanias werden über den Hafen in Daressalam abgewickelt

Genauigkeit als Aushängeschild

Warum sich schließlich Endress+Hauser durchsetzt, erklärt Yona Malago, Prozessverantwortlicher im ­Ölterminal von Daressalam. „Die TPA wollte schlüsselfertig eine neue Messmethode etablieren, die über ihre Lebenszeit zuverlässig und genau arbeitet – und das bei möglichst geringen Wartungskosten“, sagt Yona Malago. Als Lösung kristallisierten sich bei den Gesprächen neben der Produktlinie Promass F auch die größten im Portfolio befindlichen Geräte der Promass X Reihe heraus. Beide in Dimensionen von sechs bis zwölf Zoll. Die Geräte ­arbeiten nach dem Coriolis-Prinzip, das durch kombinierte Messverfahren Ungenauigkeiten – etwa durch Lufteinschlüsse – vermeidet.

Allerdings muss jedes der 19 Skids, die insgesamt 29 Messlinien tragen, dazu individuell angepasst werden. Außerdem sollen sämtliche Messdaten aus den Häfen erstmals bei der TPA automatisch zentral zusammenlaufen. All das bedeutet viel Aufwand, doch die Vorteile für den Kunden liegen auf der Hand. „Die Anbieter von Flüssiggütern können eine komfortable und präzise Entnahmestelle mit kür­zeren Liegezeiten nutzen. Zusätzlich schafft die verbesserte Quantitätskontrolle mehr Verlässlichkeit in Sachen Steuern und Abgaben, die staatliche Stellen auf die Waren erheben“, berichtet Yona Malago.

„Die präzise Messtechnik und eine effiziente Transportinfrastruktur machen Daressalam zu einer bevorzugten Route für Transitgüter.“

Raymond Lusekelo,

Logistik-Experte im Hafen von Daressalam

Testaufbau in Mailand

Mit diesen Spezifikationen ertönt im Februar 2019 der eigentliche Startschuss zur Umsetzung. Nach ­einem Besuch in Tansania entscheidet das Team um Riccardo Cremascoli, den kompletten Anlagenpark am Mailänder Standort testweise aufzubauen, um später keine Überraschungen zu erleben. Rohr für Rohr, Ventil für Ventil – bis alle Messeinheiten einsatzfähig sind. Per 3D-Modellierung entsteht die ­gesamte Anlage zusätzlich am Bildschirm. Im Zuge eines Factory Acceptance Test prüft das Team jede Funktion, bevor die gesamten Anlagen so verpackt werden, dass auch der Vertragspartner vor Ort leich­teres Spiel hat. „Wir haben jedes Detail, jeden Schritt exakt und präzise in Zeichnungen dokumentiert“, beschreibt Riccardo Cremascoli. „Im Prinzip ist es wie bei dem großen schwedischen Möbelhaus, nur dass es sich hier um tonnenschwere Anlagen handelt.“ Genauestens verpackt gehen die Container über den Seehafen von Genua auf die Reise nach Daressalam und von dort auf dem Straßenweg zu den anderen beiden Standorten Mtwara und Tanga.

 

Orchestrierung vor Ort

In Tansania koordiniert Azer Coban als Projekt­manager für Endress+Hauser die Prozesse auf der Baustelle. Der Einstieg ist für ihn unvergesslich:
„Ich hatte bisher immer in Projekten unterstützt – diesmal durfte ich die Baustelle eines Großprojekts managen. Das war eine tolle Erfahrung. Dank der Unterstützung meiner Kolleginnen und Kollegen, der TPA und der lokalen Partner haben wir unsere Aufgabe mit viel Einsatz geschafft.“ Auf dem Plan ­stehen Fundamentarbeiten, Verkabelungen, das Verknüpfen der Anlagen mit bestehender Infrastruktur und – wie bei Großprojekten üblich – Improvisieren bei Unwägbarkeiten. Denn wie bei so vielen Projekten des Jahres 2020 erschwert die Corona-Pandemie die Güterlogistik, das Reisen und die Zusammen­arbeit. „Zum Glück haben wir alle Bauteile im europäischen Sommer verschifft, als die Lieferketten noch stabiler waren. Aber vor Ort ist es ist natürlich schwieriger, mit Abstandsregeln und Hygienevorschriften einen Zeitplan zu halten. Außerdem haben uns starke Regenfälle gut eine Woche Zeit gekostet“, erinnert sich Azer Coban.

Tausende Schrauben und Bolzen: Montagearbeiten sind Teamwork.

Tausende Schrauben und Bolzen: Montagearbeiten sind Teamwork.

Bereit zur Inbetriebnahme

Nach einer intensiven Bauphase bis in den November 2020 steht fest: Das Rekordprojekt ist bereit zur ­Inbetriebnahme. Hunderte Tonnen Beton, tausende Meter Kabel, Verschaltungen, Leitungen – alles ist an seinem vorgesehenen Platz. Es folgen intensive Vorabtests. Seit Dezember 2020 laufen die Mess­linien für Tanker in Daressalam. Die Schwesterhäfen Tanga und Mtwara folgen im März 2021. „Es war wirklich sehr beeindruckend, wie Endress+Hauser und alle Beteiligten trotz der Pandemiebedingungen den Zeitplan eingehalten haben“, resümiert Yona Malago von der TPA.

Für Riccardo Cremascoli heißt eine fertige Anlage, wieder vor Ort zu sein und allen Beteiligten in Trainings die Funktionen näher zu bringen. Unter den etwa 80 Teilnehmenden sind Vertreter der TPA, der Steuer- und Treibstoffbehörden sowie Qualitäts­prüfer. Riccardo Cremascolis Bild für den aktuellen Status ist wieder eindeutig. „Wenn wir als Analogie das Autofahren nehmen, dann haben wir schon die Grundfunktionen Lenken, Bremsen und Anfahren gelernt.“ Die wirkliche Bedien-Erfahrung mit der Gesamtanlage komme für die Techniker erst mit jedem entladenen Schiff.

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Der Kunde nutzt hoch­präzise Promass Coriolis-Durchflussmessgeräte.

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Komplexer Messprozess

Was Riccardo Cremascoli vor Ort ausführlich vermittelt, funktioniert vereinfacht wie folgt: Ein Tanker dockt am 500 Meter langen Anleger an und leitet sein Flüssiggut in eine der 19 Leitungen. An Land an­gekommen, lenken motorisierte Ventile das Produkt in das dafür vorgesehene Skid. Dort registrieren die Messgeräte Massefluss, Dichte, Temperatur und Druck. Gleichzeitig sorgt ein Luftabscheider für Messungen ohne Lufteinschlüsse. Zusätzlich eingebaut ist ein Sampling-System, das automatisch Proben für Laborkontrollen entnimmt. Will der Kunde die Anlagen im Laufe der Zeit noch einmal auf ihre ­Genauigkeit prüfen, stehen mobile Prüfsysteme von Endress+Hauser zur Kalibrierung bereit.

Viele lokale Behörden oder künftige Anlagennutzer müssen sich mit der neuen Anlage vertraut machen.

Viele lokale Behörden oder künftige Anlagennutzer
müssen sich mit der neuen Anlage vertraut machen.

Verknüpfung aller Messdaten

Eine der größten Neuerungen für die Hafenbehörde ist neben der Messtechnik die Verknüpfung aller Messdaten und das Steuern motorisierter Ventile in einem Kontrollraum. Wie viel wurde gemessen? Wie lange dauert das Entladen? Läuft das Medium mit dem richtigen Druck in die Leitung? Diese Fragen beantwortet eine Software auf einen Blick. „Wir können direkt Abweichungen in allen drei Häfen feststellen und schneller reagieren. Das ist ein sehr wichtiger Datenzugang, den wir bisher nicht hatten“, sagt Raymond Lusekelo von der Hafenbehörde. Zwei Computer für jede Messlinie sammeln und verar­beiten die Signale, visualisiert wird alles etwa drei Kilometer weiter nördlich am Eingang des Hafens von Daressalam – im Hauptsitz der TPA.

Dort beginnt mit der installierten Hardware nun die spannende Phase, sobald alle drei Häfen im Regel­betrieb laufen. Raymond Lusekelo und Yona Malago sind jedenfalls zuversichtlich: „In den kommenden Monaten werden wir die Genauigkeit erzielen, die wir brauchen, um ein verlässlicher Handelsplatz zu sein.“ Dafür stehen natürlich auch Techniker von Endress+Hauser bereit. Denn ein Servicevertrag ist ebenfalls Teil des Rekordprojekts. Also wird wohl auch Riccardo Cremascoli bald einmal wieder seine ­Koffer packen.

Lokale Partner

Das oft erprobte Prinzip, dass die Experten von Endress+Hauser mit einem lokalen Partner Anlagen in Betrieb nehmen, hat sich auch in Tansania als Erfolgsgeschichte erwiesen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von BQ Contractors halfen beim Fundamentbau, der Rohranbindung, den elektrischen Anschlüssen, der Montage der Skids und waren stets vor Ort. CEO John Bura ist überzeugt: „Unsere Leute haben ihre Fähigkeiten anhand der neuen Messtechnik erweitert und konnten wiederum ihre Erfahrungen mit  Öl- und Gasanlagen einbringen.“ Sein Fazit: „Die Partnerschaft mit Endress+Hauser bei dem Drei-Häfen-Projekt hat zu Wachstum bei BQ Contractors geführt und unsere Rolle als nationaler Auftragnehmer für staatliche Projekte gestärkt.“

Funktionsweise der Coriolis-Messtechnik

In den 19 Skids, die sich auf die drei Häfen Daressalam, Tanga und Mtwara verteilen, kommen Coriolis-Durchflussmessgeräte zum Einsatz. In ihnen befinden sich Messrohre, die ein Impulsgeber in künstliche Schwingungen versetzt. Sobald das Medium in die Messrohre fließt, wird dieser Schwingung – durch die Trägheit
des fließenden Mediums – eine zusätzliche Schaukelbewegung aufgezwungen. Hier wirkt die sogenannte Corioliskraft. Sensoren erfassen diese zeitliche und räumliche Veränderung der Rohrschwingung als Phasendifferenz, die als direktes Maß für den Massefluss dient. Aus der Schwingungsfrequenz der Messrohre lässt sich zusätzlich auch die Messstoffdichte bestimmen.

„Unsere Leute haben ihre Fähigkeiten anhand der neuen Messtechnologie erweitert und konnten wiederum ihre Erfahrungen bei Öl- und Gasarbeiten einbringen.“

John Bura,

CEO BQ Contractors

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